Echt ein schwieriges Abenteuer für ein Review. Einerseits hat es mich als SL beim durchlesen sofort gecatcht, weil das Thema schön ist, und den Runnern das ein oder andere Rätsel abverlangt wird, und es die Backstory ihren eigenen Charme hat. Es ist zwar irgendwie als "durchgehender Run" geschrieben, sollte mMn aber auf 2 oder 3 Sessions verteilt werden, die auseinanderstehen und durch weitere Runs unterbrochen sind, damit die Story interessant bleibt. Leider hat das Abenteuer massivste Schwächen in der Konzeption, die es mir ein wenig schwer machen, den Kauf zu empfehlen. Was mich am meisten gestört hat, ist das gnadenlose Railroading der Spieler. Den Runnern wird die Geschichte leider aufgezwungen, und es braucht ne Menge goodwill der Spieler um nicht zwischendrin die logische Konsequenz für ihren Char zu ziehen und zu sagen "sorry, das ist mir zu heiß, ich bin raus". Dazu kommt, dass die ganze Story einfach ne Nummer zu groß ist.
Aber mal in tabellarischer Form:
Positiv fand ich:
- schönes Thema, das einen gut reinziehen kann, da greifbar und wenig abstrakt, und man kann es durchaus in den Background des ein oder anderen Spielers - zur Motivation - einflechten: CFS,der Orc Underground, multiple Konzern-Interessen und ein Politiker mit ordentlich Dreck am rassistischen Stecken, ... da können viele SCs Motivation finden, doch dem McGuffin nachzujagen.
- Die Locations sind stimmungsvoll und abwechslungsreich, üble Spelunke, Sarghotel in den Barrens, ein Hideout der Chars, der Fort Lewis Zoo und ein KonzernHQ in Downtown, liefern einem einen schönen Backdrop für alle Ecken Seattles.
- Das Abenteuer hat eine verhältnismäßig simple Timeline. Finde Dingsi, verstehe Dingsi, finde Ergänzung zu Dingsi, Füge Dingsi 1 und 2 zusammen, entschlüssle Code, und mach dann Pläne was Du damit machen willst. Am Ende geht's zum Run in ein Konzern-HQ, und die Chars sind entweder gut bezahlte Helden, oder überbezahlte Arschgeigen.
- die Codefragmente haben ne Menge Charme.
Negativ:
- gnadenloses Railroading der Spieler, die Wahlmöglichkeiten fühlen sich eher wie bei einem Computerspiel an. Man kommt der Mission einfach nicht aus, obwohl es viele Gründe gibt, die dafür sprechen, dass die Runner nicht sonderlich motiviert sind dem roten Faden zu folgen. Logischer wäre es an mehreren Stellen zu sagen "weg mit den Daten an den meistbietenden, wir wollen damit nix zu tun haben", was schlicht nicht zugelassen wird.
- die NSC mit denen man auf einmal kooperieren soll, sind in anderen Abenteuern (den Missions der aktuellen Season) schon mehr als negativ und hassenswert aufgefallen und erfordern entweder einen rewrite, oder man muss hoffen, dass die Spieler die vorhergehenden Missions nicht gespielt haben, das mag aber nur mein Eindruck sein.
- Als Einsteigerabenteuer konzipiert, ist es mindestens 3 Stufen zu groß vom impact auf die Spielwelt her. Startet man mit dem Abenteuer, haben die Chummer plötzlich als Connection Regionalleiter von Triple A Konzernen, und Freunde in der Politik, sowie einen Payout um die halbe Million Nuyen, was in prime runner Kampagnen Sinn machen mag, ich aber für "neue Chars", übertrieben finde, weil es danach kaum mehr Steigerung zum erlebten geben wird.
- Als Einsteigerabenteuer ist es mEn auch falsch konzipiert, weil der Run letztlich eigentlich viele "professionelle Entscheidungen" fordert, deren versemmeln einen SL schnell ins Schwitzen bringen kann, da Spielertod wahrscheinlich wird. Also muss man entweder den eigentlich geplanten "Realismus" runterschrauben, oder die Spieler häufiger mal drauf hinweisen, dass es vielleicht doch keine so gute Idee ist, im Militärzoo die Knarren zu ziehen, oder die überhaupt reinzubringen.
- die NSC sind teilweise ganz schön hart. Hat man eine Dicepool-Optimierte startchar-Gruppe, wird das relativ gut machbar sein, besteht die Gruppe aus Rollenspielern die wenig Erfahrung mit SR haben, oder die sich für Dicepools um die 10-12 Würfel entschieden haben, statt zu tallstacken, ist ohne SL-Input recht wahrscheinlich, dass die Opposition mit den Chars den Boden aufwischt.
- Insgesamt ist das Abenteuer gefühlt sehr auf Combat-Action angelegt, oftmals gibt es wenige alternative Lösungen als den zwischenzeitlichen Shootout. Ist jetzt nicht jeder Gruppe' Stil.
- Es ist, wie schon erwähnt, in "major events" eingepflegt und damit nur schwer in der aktuellen Zeitlinie unterzubringen, da bestimmte Dinge einfach noch nicht passiert sein dürfen, damit der Run noch Sinn ergibt (Anerkennung des Orc Underground, Brackhaven noch Gouverneur), andere Sachen wiederum müssen schon passiert sein (Tempo-story muss durch sein). Es ist also, wenn man im Canon bleiben will, inzwischen "datiert". Auch ist es auf Seattle als Location absolut festgelegt, alles andere müsste ein massiver Rewrite werden.
Zusammenfassendes Fazit: Schönes Abenteuer für Runner mit politischen Motivationen oder einer Gruppe "Schattenhelden" mit zumindest ersten Erfahrungen im SR-Universum. Man muss mEn als GM ne Menge Energie investieren, um es umzuschreiben, damit es am Ende vernünftig hinhaut und man die logischen Probleme soweit ausgleicht, dass die Runner nicht komplett gerailroaded werden.
Das ist leider etwas was mich bei gekauften Abenteuern immer nervt, weil ich selbige eigentlich ohne großen Input als "Füller" verwenden möchte, während ich an der eigenen Kampagne arbeite, oder wenn ich eben mal keine große Zeit investieren kann um mir was auszudenken, der Spielabend aber wieder bevorsteht.
Kaufempfehlung? Als fertiges, sofort zu verwendendes Abenteuer: Nein. Als Einsteigerabenteuer schon gleich 2x nicht.
Als Idee für eine politisch motivierte Mini-Kampagne in Seattle, hingegen, macht es für mich schon Sinn und ich werde auch meine neue Gruppe damit drangsalieren. :)
Rating: [3 of 5 Stars!] |
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