https://www.teilzeithelden.de/2022/07/31/rezension-the-witcher-a-tome-of-chaos-r-talsorian-its-a-kind-of-magic/
Magie ist in der Welt von The Witcher allgegenwärtig, nicht nur in Monstern und Hexern, sie lässt sich auch in Gegenständen, Elementen und in der Natur finden. Grund genug für Talsorian nun einen eigenen Erweiterungsband zum Thema rauszubringen, der dringend benötigte Hintergründe zu Magier:innen, Druid:innen und Priester:innen liefern soll.
A Tome Of Chaos heißt die neue Erweiterung für das Witcher-Rollenspiel von R. Talsorian. Nachdem sich bisherige Quellenbände auf den Adel, die Kaste der Hexer oder die zu jagenden Monster fokussierten, hat sich A Tome Of Chaos das Thema Magie vorgenommen.
Inhalt
Und über Magie wird in A Tome Of Chaos in all ihren Facetten gesprochen. Neben einer Trennung der Berufe für Druid:innen und Priester:innen und einem eigenen Magier:innen-Lebenspfad enthält das Werk an die 80 neue Zaubersprüche, Rituale und weiteres. Es werden außerdem erstmals neue Hintergründe zur Welt geliefert. Etwa zu den verschiedenen Religionen oder den nilfgaardischen Provinzen. Diese versuchen, bestehende Lücken in der Lore zu schließen.
Als Erzählerin und Erklärerin der neuen Inhalte dient dieses Mal nicht der Hexer Erland von Larvik sondern die nilfgaardische Magierin Glynnis var Treharne. Mit neuen Monstern und einem eigenen, auf Magie fokussierten Abenteuer möchte R. Talsorian den Ausflug in die Welt der Magie abrunden. Ob A Tome Of Chaos dem Witcher-Rollenspiel zu neuen Höhen verhilft oder es sich um einen Sturzflug handelt, lest ihr im Test.
Trio Infernale –Magier:innen, Druid:innen und Priester:innen im Fokus
In den ersten Kapiteln dreht sich alles um die in Zauberei bewanderten Magier:innen, erzreligiöse Priester:innen und naturverbundenen Druid:innen. Es werden Hintergründe zur Entstehung der Kasten geliefert. Ebenso verschiedenes zur magischen Ausbildung in den Schulen von Aretuza, Ban Ard sowie die imperiale Akademie von Gweison Haul. Hier lässt sich außerdem einiges über die nilfgaardische Mentalität in Erfahrung bringen.
Die zahlreiche Vorstellung von Ausbildungsmöglichkeiten und Berufsfeldern bei Magier:innen bereitetet alles vor für den eigenen Magie-Lebenspfad. Ähnlich, wie es Lesende von den Hexern kennen, wird erst die Kindheit, später für ein Jahrzehnt im Leben eines Charakters grob gewählt, wie „risikoreich“ er:sie gelebt hat. Magisches Experimentieren ist am gefährlichsten, politisches Ränkespiel ein bisschen sicherer, aber nicht vielMit der Haltung „vorsichtig“ ist die Chance hoch, dass der Charakter keine Gliedmaßen verliert oder sich neue Todfeinde schafft – aber eben auch ohne Vorteil aus dem Jahrzehnt hinausgeht.
Die Würfelwürfe beantworten dann auf mannigfaltige Art und Weise, wie die Magie entdeckt wurde, wie die eigene Familie dazu stand, unter welchen Mentor:innen man ausgebildet wurde und vieles mehr. Mit der zeitintensiven Art der Charaktererstellung ist das Regelwerk bisher gut gefahren. Die Ausweitung berufsspezifischer Lebensläufe scheint logisch, übernimmt gleichwohl die Müßigkeit, für einen 200 Jahre alten Charakter 20 Würfeldurchgänge zu tätigen, bis gespielt werden kann.
Das Kapitel zu Priester:innen dreht sich vor allem um organisatorische Strukturen und führt in die sechs verschiedenen Religionen auf dem namenlosen Kontinent ein. Neben aus dem Kanon bereits bekannten Glaubensrichtungen wie der Kirche des ewigen Feuers oder dem Kult der Großen Sonne, werden auch neue Naturgottheiten wie Dana Meadbh oder Kreve vorgestellt, die sich bekannter Konzepte wie Göttin der Fruchtbarkeit oder Gott des Krieges bedienen. Dabei wird darauf geachtet, sie passend in die Welt von The Witcher einzuflechten.
Die Vorstellung der druidischen Klasse läuft vor allem so ab, dass Unterschiede zwischen ihnen und den Priester:innen herausgearbeitet werden. Während Priester:innen in organisierten Orden arbeiten, leben die Druid:innen zurückgezogen auf dem Land, wo sie die Balance zwischen Natur und Zivilisation aufrechtzuerhalten versuchen und der Landbevölkerung mit Rat und Tat zur Seite stehen. Angereichert wird der Abschnitt mit Hintergrundinformationen zu druidischen Zirkeln in Angren, Toussaint oder dem Krähen-Klan von Skellige.
Insbesondere Naturmagie wurde vom Grundregelwerk vernachlässigt. Mit der Druid:in wird einiges nachgeliefert.
Abschließend werden einzelne, „niedere“ magische Begabungen vorgestellt, wie etwa die Möglichkeit, Tiere zu beruhigen, oder Pflanzen schneller wachsen zu lassen. Das Ganze sind kleinere Talente, die die Omnipräsenz von Magie jedoch auf sinnvolle Art und Weise auch in anderen Charakteren erkennbar werden lassen.
Etwas enttäuschend bleibt die Tatsache, dass die neuen Berufsfähigkeiten nur in Teilen neu sind. Der bisherige Priester:innen-Fähigkeiten-Baum teilte sich in Prediger, Druide und Fanatiker. Prediger und Druide bilden jeweils die Basis für ihre neuen Fokusbäume. Auch der Fanatiker wurde übernommen. Es sind also nur neun neue Berufsfähigkeiten, anstelle möglicher 18 – eine kleine Mogelpackung.
Zwei (Kapitel) mögen Pech und Schwefel – Magische Zutaten und Zaubersprüche
Mit 52 neuen Zaubersprüchen vergrößert A Tome Of Chaos die Möglichkeiten für Magier:innen enorm. Die meisten Sprüche scheinen gut gelungene Erweiterungen zu sein und beschränken sich nicht nur auf den Kampf. So wird mit „Fergus‘ Niedergang“ zum Beispiel ermöglicht, das Gegenüber mit magischen Nadeln einzuschüchtern, wodurch Verhöre über Magie wirken und nicht über die eigentliche Fähigkeit laufen.
Manche Sprüche wirken allerdings auch so simpel, dass es ein einfacher Wurf auf über Magie wirken an dieser Stelle auch getan hätte, um das System nicht noch weiter zu verkomplizieren. Etwa wenn es um die Erkennung magischer Ley-Linien geht, ein Aspekt welcher am Anfang des Buches als grundlegend und essenziell für jede:n Magier:in eingeführt wurde.
Auf dem „zweiten Platz“ landen die Priester:innen mit 18 neuen Zaubersprüchen, die Druid:innen auf dem vorletzten Platz mit 15 und überraschenderweise bekommen sogar die Hexer zwei neue Hexerzeichen spendiert.
Vollends auf ihre Kosten kommen Kämpfende beim magischen Marktplatz, wo mit Runen und Glyphen Schwerter, Streitäxte und Bögen magisch geschmiedet werden. Dann können die Waffen mittels Magie Opfer in Brand setzen, oder eine gewisse Menge an Stamina wiederherstellen, wenn mit ihnen getötet wird.
Noch hilfreicher und dazu erschwinglicher ist die Möglichkeit, dass nun auch Hexer-Tränke sowie Trophäen mit ihren starken Boni von Nicht-Hexern genutzt werden können, nur heißen diese nun Elixiere, Trophäen behalten sogar ihren Namen. Auch an dieser Stelle wurde daran gearbeitet, für Klassen abseits der Hexer Möglichkeiten zur Vor- und Nachbereitung auf Kämpfe zu liefern. Es wäre schön zu sehen, sollte dies dazu führen, dass Runden mitunter ohne einen Zwei-Schwerter-Schlächter auskommen.
Da braut sich was zusammen … Neue Zaubersprüche und Tränke ergänzen die Lore-Hintergründe.
Weiterhin wurde eine kleine Menge magischer Gegenstände hinzugefügt, deren Bandbreite von Amuletten bis hin zu Megaskopen, eine Art der magischen Videokommunikation, reicht und erläutert.
Mit für R. Talsorians Witcher-Bücher bisher ungewohntem Body-Horror-Niveau kümmert sich das Kapitel „Dunkle Künste“ um verbotene Formen der Magie, wie etwa Nekromantie, Dämonologie oder die Schaffung eigener mutierter Wesen. Das Kapitel ist mit Triggerwarnungen versehen und auch im Text wird klar, dass die Nebenwirkungen jener Form von Zauberei fatal sein können und bestenfalls als Ultima Ratio dienen. Dennoch trägt es zum Realismus innerhalb der Welt bei, da es natürlich genug Magier:innen gibt, für die der Zweck jedes Mittel heiligt.
Kleine Monster und Magier:innen-Fibel
Im Kapitel zu bekannten Magier:innen geben sich das „Who is Who“ der Szene den Stab in die Hand und werden samt Werten, Inventar und besonderen Fähigkeiten vorgestellt. Von den 16 Einträgen der „Magipedia“ sind neun bekannte Gesichter wie etwa die Elfin Francesca Findabair oder Stregobor dabei. Außerdem finden sich sieben Eigenkreationen im Buch, die leider etwas farb- und lieblos hinzugefügt worden sind, um möglichst viele nilfgaardische Provinzen abzudecken, denen aber ebenfalls noch Hintergrundgeschichte fehlt. So bleiben die fast ausschließlich männlichen Zauberer generische Fantasy-Abziehbilder – hier wäre mehr drin gewesen. Von Priester:innen oder Druid:innen fehlt dann außerdem wieder jede Spur.
Wie ein guter Ghostbuster, dürfen auch magisch begabte Personen keine Angst vor Geistern und dunkler Magie haben.
Das Bestiarium ist dieses Mal ebenfalls mehr Pflichtaufgabe, da es sich um Monster handelt, auf die sich im Buch, wie auch im beigelegten Abenteuer zurückbezogen wird. Die sieben Wesen sind eines finsterer als das andere. Sehr viele Dämonen verstärken die Riege an Metzel-Möglichkeiten. Insgesamt ist dies aber nur eine notwendige Beilage und kein eigenständiger Punkt des Buches, wie etwa beim Witcher Journal.
Abenteuer: A Binding Clause – Magie verpflichtet
Eine praxisorientiertere Einführung in die dunklen Künste erhalten Spieler:innen im Abenteuer „A Binding Clause“. Hier hat es sich ein Dämon in einem rivischen Weiler gemütlich gemacht und lungert jeden Abend vor dem Haus derselben Familie, welche sich nun nicht mehr aus dem Haus traut. Die abergläubige Landbevölkerung hält die Familie für verflucht, wodurch der Ort kurz vor einem Pogrom steht.
Das Abenteuer ist eine der positiven Überraschungen des Buches. Insbesondere da der eigene Geschichtenband von R. Talsorian ein unvollständiges Tohuwabohu war. Die Prämisse ist spannend, es gibt die witchertypischen Graustufen und Themen, sogar das sonst übliche Railroading scheint ausnahmsweise auf ein Minimum reduziert, wenngleich es manchmal noch durchscheint („Wenn xy getötet wird, sofort zum Ende springen“).
Erscheinungsbild
Die Bilder in A Tome Of Chaos decken eine Vielzahl an Stimmungen ab.
A Tome Of Chaos nutzt den aus den Magiekapiteln im Grundregelwerk bekannten Mix aus Purpur und Weiß als Hauptfarben im Layout. Das ist für das Auge angenehmer, als es im ersten Moment klingen mag. Trotz der zahlreichen Tabellen und Seitenhinweise ist die Orientierung im Buch einfach, der Index an seinem Ende unterstützt dies. Auf den 214 Seiten finden sich einige Illustrationen, die ein Potpourri an Figuren aus den Videospielen, der Serie oder den Büchern darstellen, wie auch eigene Figuren. Die Grafikstile sind dabei ein ebenso großer Mix wie die Anzahl der dargestellten Figuren, halten sich aber die Waage zwischen düster-seriös und heiter-leicht – so wie eben die Magie im Buch auch.
Fazit
Mit A Tome Of Chaos scheinen sich die Erweiterungen zum Witcher-Rollenspiel endlich in die richtige Richtung zu bewegen. Es wird eine Menge Inhalt geboten, auch wenn kleinere Teile davon aus dem Grundregelwerk recycelt wurden. Hexer-Spielmechaniken werden logisch auf andere Klassen ausgeweitet, wie etwa die auswürfelbaren Lebensläufe oder Tränke. Die Hintergrundgeschichte der Welt wird ebenso ausgearbeitet wie auch einige der vorgestellten Orte, zum Beispiel die Magie-Schulen.
Viele neue Zaubersprüche bringen Abwechslung für Magier:innen, bewegen sich jedoch auf der dünnen Linie zwischen sinnvoll und Spruch-Sammelwahn.
Die Kapitel zu Monstern und bekannten Magier:innen sind eine notwendige Beilage zum Rest des Buches und stechen nicht wirklich hervor.
Überraschend düster ist das beigelegte Abenteuer gut gelungen und leidet nur noch wenig am Railroading, wie es noch im Book Of Tales der Fall war.
Vollends verzaubert A Tome Of Chaos nicht, dessen PDF-Preis mit 17,34 EUR außerdem verhältnismäßig stark zu Buche schlägt (das Grundregelwerk kostet 24,99 EUR). Insgesamt tut es aber gut daran, einen Teil der Magie des erstmaligen Spielens und Erkundens in der Welt von The Witcher wiederherzustellen.
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