Sex, Drugs und Mythos-Mächte - ein Mephisto-Review
Berlin – Welthauptstadt der Sünde
Berlin ist eine Reise wert – und für Cthulhu nun auch ein Quellenbuch, dass die deutsche Hauptstadt in den 1920ern vorstellt. Nach dem 1. Weltkrieg, in einer Zeit in der politische Krawalle, wilde Exzesse, Wirtschaftskrisen und neue Freiheiten aufeinandertreffen, ist Berlin eine Stadt der Gegensätze und ein Schmelztiegel der verschiedensten Strömungen. So beginnt das Buch mit einer kurzen Vorstellung der Stadt, um die nötige Kulisse für den Kampf gegen den Mythos und einen Hintergrund für die Spielercharaktere zu liefern. Für die Investigatoren gibt es daher gleich ein paar Infos zu den Berufen und Erfahrungspakete wie den Straßenkämpfer oder den Verbindungsstudenten. Einige Organisationen, die auch als Einstieg in die Abenteuer bieten können, runden diesen Aspekt ab und reichen von der okkulten Bürgerwehr des Unabhängigen Ordens der Eule über die Hilde-Film bis zum Landsberger-Mieterbund.
Danach wird die Geschichte der Stadt und ihre Topologie kompakt präsentiert, wobei es weniger darum geht, alles umfassend vorzustellen, als vielmehr einige Beispiele und Aspekte zu liefern, die dem Viertel seinen besonderen Charakter verleihen. Einen besonderen Fokus wirft das Buch dabei auf die Unterwelt der Stadt und vor allem die Prostitution in ihren verschiedensten Formen, so dass Berlin stellenweise wie ein einziges städtefüllendes Rotlichtviertel wirkt, in dem die Berliner nicht von Luft und Liebe, sondern von Kokain und Sex leben.
Einige ausgewählte Orte – Museen, aber auch Unterhaltungsetablissments – bekommen noch einmal eine ausführlichere Beschreibung. Ein paar Zufallstabellen für Begegnungen dienen dazu, die Stadt lebhaft darzustellen. Neben den darin vorkommenden namenlosen Berlinern werden auch diverse bekannte Persönlichkeiten von Berthold Brecht über Marlene Dietrich und Albert Einstein bis Joseph Goebbels und Paul von Hindenburg vorgestellt, die zumindest zeitweise in Berlin gelebt haben.
Nach dieser weltlichen Vorstellung geht es an den Mythos – einerseits in Form einiger Mythos-Kulte, die in der Stadt aktiv sind, und andererseits in Form von einem breiten Arsenal an Szenarioideen. Allerdings braucht der geneigte Spielleiter diese Ideen nicht aufzugreifen, bietet das Buch doch drei umfassende Abenteuer, die lose verknüpft gut zehn Jahre überspannen. In Der Teufel frisst Fliegen geraten die Investigatoren mit einem Serienmörder in Konflikt und werden in eine Geschichte um eine angebliche Zarentochter und politische Attentate verwickelt. In Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase drängt es – angelockt von einer bekannten Tänzerin – eine mächtige und fremdartige Entität nach Berlin, die droht, die gesamte Stadt ins lasterhafte Chaos zu stürzen. Bei Schreckfilm geraten die Investigatoren über die Filmwelt Berlins in Konflikt mit einem Hexenkult und treffen dabei einen berühmten Okkultisten. Alle Abenteuer sind sehr ausführlich, vielschichtig und bieten spannende Herausforderungen für die Investigatoren. Durch ihre Verknüpfung leiten sie Themen geschickt über, jede Geschichte kann aber auch für sich allein gespielt werden und bietet ihre eigene Variante von Horror, die durchaus Themen wie Selbstmorde, Lustmorde und auch sexuelle Inhalte berühren.
Berlin – Welthauptstadt der Sünde ist ein umfassendes und abwechslungsreiches Quellenbuch, was aus meiner Sicht aber das Thema Laster und Prostitution etwas zu dick aufträgt, während das politische Berlin nur im Hintergrund angerissen wird. Auch die historischen Persönlichkeiten sind zwar einerseits interessant zu lesen, aber die Vorstellung, dass die Charaktere auf Albert Einstein oder Marlene Dietrich treffen, wirkt schon etwas weit hergeholt. Noch schwerer wiegt das für mich bei den Abenteuern. Auch hier sind die grundsätzlichen Geschichten spannend, wenn auch nicht immer leicht bekömmlich (aber Cthulhu ist nun einmal ein Horror-Rollenspiel). Die Art und Weise jedoch, wie hier reale Personen und Ereignisse in die Abenteuer eingebaut und somit auf den Mythos interpretiert bzw. reduziert werden, geht mir persönlich etwas gegen den Strich und wäre auch nicht nötig gewesen – denn damit werden die Geschichten nicht etwa greifbarer oder realistischer, sondern aus meiner Sicht ist das Gegenteil ist der Fall. Insbesondere einen politischen Mord in einer kleinen Nebenhandlung auch mit dem Mythos zu rechtfertigen, wird aus meiner Sicht der Zeit nicht gerecht.
Wer ein wildes Berlin sucht, das vielleicht nicht realistisch ist, dafür aber bunt, grell, wild und voller bekannter Persönlichkeiten, gefährlicher Mythos-Verschwörungen, lasterhafter Aktivitäten und wilder Exzesse daherkommt, bekommt ein Cthulhu-Setting das durchaus einiges zu bieten hat – und gleich drei sehr ausführliche Abenteuer dazu, die auch jeweils eine ordentliche Bedrohung und ihre eigene Geschmacksrichtung von Horror bieten. Mir ist das Ganze aber etwas zu effekthascherisch ausgefallen und der Ansatz, die Fiktion so konkret an reale Personen zu knüpfen und diese zu Spielbällen des Mythos zu machen, ist aus meiner Sicht ein eher geschmackloser Zug.
(Björn Lippold)
|