Der Mythos in Sowjetrussland - eine Mephisto Rezension
Eiskalte Ernte
Auch wenn Cthulhu mit der amerikanischen Ostküste der 1920er eigentlich ein Standardsetting hat, könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass das Spiel stärker durch seine Ausnahmen definiert wird. So verschlägt es die Spieler in Eiskalte Ernte nach Zentralasien – genauer gesagt ins stalinistische Russland von 1937. Die Investigatoren sind Agenten des NKWD, des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten, und werden zu einer kleinen, im Rahmen der Zwangskollektivierung entstandenen Siedlung ausgeschickt, um dort eine Familie zu verhaften und ins Arbeitslager zu schicken. Alternativ lautet der Auftrag, den Produktionsabfall an diesem Ort zu überprüfen.
Das Abenteuer stellt zunächst grundsätzlich Setting und Ausgangslage vor und präsentiert dann das Dorf und seine Bewohner. Zudem gibt es eine kurze Übersicht der Ereignisse. Es folgen einige Regeln, um die Investigatoren passend zu diesem Hintergrund zu erstellen (falls man nicht direkt mit den vorgefertigten Charakteren spielen will) und dann beginnt auch schon das Abenteuer. Die Besonderheit ist, dass hier stalinistische Paranoia auf cthulhoiden Horror trifft und das Abenteuer in seinem Verlauf sehr frei definiert ist. Es ist allerdings auch so angelegt, dass die Spieler vor dem Dilemma stehen, wie sie mit der Situation und ihren Befugnissen umgehen. Der Gegner, dem sie sich stellen müssen, ist durchaus gefährlich. Glücklicherweise werden aber hier nicht gleich die ganz großen Mythos-Mächte aufgefahren.
Auch wenn Eiskalte Ernte Ideen liefert, innerhalb des Settings länger zu spielen, ist es eher ein One-Shot mit einer ungewöhnlichen Ausgangslage: An sich sind die Spieler hier sowohl mit Autorität als auch mit guter Ausrüstung ausgestattet, doch ob das die Begegnung mit dem Mythos – oder auch nur ihren eigentlichen Auftrag – einfacher macht, sei dahingestellt. Wer einen Exkurs ins stalinistische Russland machen möchte, um sich dem Mythos in einem ungewöhnlichen und düster-paranoiden Setting zu stellen, ist hier genau richtig.
(Björn Lippold)
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