Auf zu unbekanntem Grauen - eine Mephisto Rezension
Expeditionen
Expeditionen ist ein kombinierter Quellen- und Abenteuerband, der sich des Themas Expeditionen in der Welt von Cthulhu widmet. So drehen sich die ersten knapp 30 Seiten um das Thema Expeditionen im historischen Kontext des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Hier werden Motivationen und Hintergründe für Expeditionen beschrieben und einige Informationen zu bekannten realen (und fiktiven) Expeditionen in dieser Zeit geliefert. Auch Aspekte wie Frauen auf Expeditionen wird Raum gewidmet. Eine der wichtigen Fragen lautet, wer die Expedition bezahlen soll und wie die nötigen finanziellen Mittel zusammenkommen. Dieses Thema wird auch regeltechnisch abgedeckt. Das einfache Regelsystem dafür geht davon aus, mittels Spielwerten zu prüfen, ob die nötigen Ressourcen für die Expedition zur Verfügung stehen, und berücksichtigt diese im Verlauf der Expedition, um zu bestimmen, wie komfortabel (oder auch nicht) die Expedition abläuft. Einige allgemeine Ansatzpunkte, wie man Expeditionen sowohl in der Vorbereitung als auch im Ablauf gestalten kann, werden hier vorgestellt, wobei der kleine Regelteil eher im Hintergrund bleibt.
Den Hauptteil des Buchs machen fünf Expeditionen aus, die konkret zum Spielen einladen. In Ewiges Eis geht es an den Nordpol auf der Suche nach einem verschollenen Zeppelin – und damit in eine gefährliche Welt, die nicht nur durch die lebensfeindlichen Elemente zu einer tödlichen Bedrohung werden kann. Herz der Finsternis führt die Investigatoren in die Tiefen Afrikas und in menschliche Abgründe – angelehnt auch an den Hintergrund von Apocalypse Now. Bei Die letzte Ruhe der Minna B müssen die Spielercharaktere in die Südsee reisen, um ein bizarres Rätsel zu lösen: nämlich wie ein Matrose, dessen Schiff in Norwegen verschollen ist, kurze Zeit später an diesem entfernten Ort auftauchen konnte. Der Fluch des goldenen Armbands ist eine Schatzjagd: Die Spielercharaktere sollen den zweiten Teil eines Armbands finden, um so hinter das Geheimnis eines Piratenschatzes zu kommen. Natürlich sind auch hier wieder finstere Mächte im Spiel. In Polaris wandern die Investigatoren auf den Spuren des Polarforschers Roald Amundsen, der in der eisigen Wildnis verschollen ist, und suchen eine vergessene Stadt im ewigen Eis.
Das Expeditionsthema ist prinzipiell sehr passend für Cthulhu und auch ein guter Kontrast zu Stadtabenteuern, da hier die Herausforderungen ganz andere sind. Auch die Beschreibung der Aspekte einer Expedition ergeben Sinn, wobei für mich der Regelteil eher aufgesetzt und unnötig wirkt und gerade bei der Finanzierung in den Bereich der Buchführung abgleitet. Die Abenteuer sind thematisch abwechslungsreich und konfrontieren die Spielercharaktere an sehr unterschiedlichen Orten mit sehr unterschiedlichen Gefahren (sowohl weltlichen als auch übernatürlichen). Besonders Die letzte Ruhe der Minna B hat einen spannenden und bizarren Hintergrund, während Herz der Finsternis eine sehr düstere Geschichte erzählt – die mit den richtigen Spielern sicher sehr intensiv sein kann. Was mir persönlich allerdings nicht gefallen hat, ist der Ansatz, wie Polaris mit historischen Persönlichkeiten umgeht und sie wahrscheinlich in einer Art und Weise darstellt, die ihnen nicht gerecht werden.
Das Thema Expeditionen bietet einen spannenden Aspekt für Cthulhu, der auch ein wenig abseits bekannter Pfade liegt, und besonders die Einführung, aber auch die Abenteuer transportieren durchaus das Potential des Themas. Für den Spielleiter gibt es neben Inspiration einiges konkretes Spielmaterial, aber hier ist das klassische Problem mancher Cthulhu-Quellenbände präsent, nämlich dass es vermutlich schwierig ist, innerhalb einer Spielrunde gleich mehrere Expeditionen zu spielen, auch weil dies ein eher untypisches Thema für Cthulhu ist, bei dem die klassische Ermittlungsarbeit stark zurückgeschnitten wird. Die Abenteuer sind spannend, fallen aber für mich hinter einige andere Abenteuer der letzten Veröffentlichungen zurück. Insbesondere sollte man wissen (auch wenn in der Einleitung davor gewarnt wird), dass sich das Buch bewusst der Sprache und Ausdrücke und damit Sichtweise der entsprechenden Zeitepoche bedient, sodass die Investigatoren auch mit definitiv politisch nicht korrekten „Wilden“ konfrontiert werden.
(Björn Lippold)
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