https://www.teilzeithelden.de/2020/04/24/rezension-shadowrun-blackout-wenn-runner-wieder-kurzwelle-nutzen/
Als Runner ist man Chaos gewohnt: Kein Plan überlebt den Feind. Auf einen Blackout sind sie von allen Bevölkerungsgruppen daher noch am besten vorbereitet: magische Bedrohungen, technisches Versagen, politische Umbrüche und eine zusammenbrechende Gesellschaft. Blackout hat alle Zutaten für einen großen Haufen Drek und verfraggt viel Spaß.
Blackout ist ein Quellenbuch, in dem es um (in der Shadowrun-Zeitlinie) aktuelle Ereignisse in den UCAS, speziell in Detroit, geht. Motor City hat ähnliche Probleme, wie Chicago sie vor einigen Jahren hatte: Insektengeister, kurz: Bugs.
Auf viele Details wurde im Folgenden verzichtet, um den Inhalt nicht zu stark vorwegzunehmen. Neben dem hier Erwähnten gibt es einige Wendungen und Ereignisse, die ungenannt bleiben, um das Erlebnis der Eigenlektüre nicht zu schmälern.
Inhalt
Am 30. Juli 2080 startete Ares „Operation Lettisches Gambit“, bei der ein riesiger Insektenschwarm, der im Untergrund Detroits nistet, angegriffen und vernichtet werden sollte. Dieser Schwarm war mindestens so groß wie der in Chicago, wenn nicht größer. Damien Knight hatte mit Hilfe eines totgeglaubten Bugexperten herumexperimentiert und das Ergebnis, die „Alphas“, zusammen mit seinen Truppen auf den Schwarm gejagt – natürlich alles unter einem Vorwand.
Ohne zu sehr auf die Details einzugehen: Es lief nicht wie erhofft. Die Firewatch-Heldin Colonel Anne Ravenheart verhinderte mit ihren irregulären Truppen Schlimmeres, aber bei weitem nicht alles. Die Irregulären bestehen aus Soldaten, Zivilisten und einer ordentlichen Menge an Shadowrunnern. Nun ist Detroit ein Kriegsgebiet mit Insektengeistern, wildgewordenen Alphas und noch einem großen Haufen anderer Probleme.
Kleines Wörterbuch für Shadowrun in alphabetischer Reihenfolge:
Ares Macrotechnology (kurz: Ares): Einer der „Die Großen Zehn“ genannten Megakonzerne und damit eines der mächtigsten Unternehmen der Welt. Vorstandsvorsitzender ist Damien Knight, Hauptsitz lag bis 2080 in Detroit.
Aztechnology (Aztec): Ein weiterer Megakonzern der Großen Zehn.
CAS: Steht für „Confederation of American States“, einer der neuen Staaten auf dem nordamerikanischen Kontinent.
Cyberware: Anorganische, technische Augmentierungen, die Körperfunktionen ersetzen und/oder verbessern. Darunter Cyberaugen, ganze Arme oder kosmetische Veränderungen.
DeeCee: Hauptstadt der UCAS, hieß bis 2024 Washington D.C.
Drek: Runner-Slang für „Scheiße“.
Firewatch: Elite-Spezialeinheit von Knight Errant und Ares zur Bekämpfung von Insektengeistern und deren Nestern.
GridLink: In Verbindung mit GridGuide ein flächendeckendes Verkehrsleitsystem, das autonomes Fahren, Verkehrsüberwachung und einiges mehr ermöglicht. Die zumeist elektrischen Fahrzeuge laden sich über die im Boden eingelassenen Elemente automatisch während der Fahrt auf.
Insektengeister (Bugs): Besondere Form von Geistern, die einen Wirtskörper besetzen und seit den Vorfällen in Chicago (Bug City) gehasst und gejagt werden.
Knight Errant: Steht für „Knight Errant Security Services“, privater Sicherheitsdienst, Polizeidienstleister und Privatarmee von Ares.
Konzerngerichtshof: Das mächtigste Gremium der Welt, gesteuert durch die Großen Zehn.
Matrix: Weltweites Computernetzwerk, mit dem eigentlich alles verbunden ist – auch deine neue Outdoor-Jacke. Es gibt AR- und VR-Optionen.
NAN: Steht für „Native American Nations“, ein indianischer Nationenbund im nordwestlichen Teil des nordamerikanischen Kontinents.
Shadowrunner (kurz: Runner): Namensgebende Auftragskriminelle.
StarKafé, Stuffer Shack & Taco Temple: Bekannte Läden in der Welt von Shadowrun.
UCAS: Steht für „United Canadian and American States“, einer der neuen Staaten auf dem nordamerikanischen Kontinent.
verfraggt: Runner-Slang für „verdammt“ oder „verflucht“.
Glühend heiß werden die Geschehnisse von Runnern in den für Quellenbüchern typischen Matrix-Chatrooms und Downloads geschildert. Dazu kommen lückenhafte Berichte aus der Stadt und dem ganzen Land, die dann kommentiert und eingeordnet werden. Erinnerungen an die Insektenplage in Chicago oder die Vorfälle in Boston drängen sich auf.
Blackout befasst sich mit den Vorfällen zwischen Juli 2080 und März 2081, wobei der Abenteuerband 30 Nächte und 3 Tage die Vorfälle zu einer kleinen Kampagne in Toronto aufarbeitet. Lest dazu nächsten Monat unsere Rezension!
Der Strip-Club „Platinum Troll Girls“ spielt eine wichtige Rolle in Detroit.
Marv, der Besitzer des Strip-Clubs, zählt zu den einflussreichen Personen der Stadt.
Was in Detroit begonnen hat, hat Auswirkungen auf die gesamten UCAS und darüber hinaus: St. Louis, Atlanta und auch Québec, Toronto und weitere Gebiete sind betroffen, doch Detroit bildet den Mittelpunkt von Blackout – dort hat alles begonnen. Besonders der Strip-Club Platinum Troll Girls von Ex-Runner Marv wird Schaltzentrale der Irregulären, die versuchen, die Stadt zu retten und dabei nicht von Ares-Truppen erschossen zu werden.
Für Runner gibt es gute Arbeit: Erhalt der gesellschaftlichen Ordnung und zivile Hilfe auf der einen, Kopfgelder oder die persönliche Bereicherung auf der anderen Seite. Blackout schafft hier ein Füllhorn an Möglichkeiten. Doch der große Knall steht noch bevor.
Während das UCAS-Militär die gesendeten Hilfstruppen unter mysteriösen Umständen verliert (Stichwort „Chiark“), geht die UCAS-Regierung einen monumentalen Schritt: DeeCee beendet seine Beteiligung an den Business Recognition Accords (BRA). Als Begründung sind die Verstöße „von Ares Macrotechnology im Besonderen und dem Konzerngerichtshof im Allgemeinen“ gegen mehrere Artikel der Übereinkunft angegeben. Damit entzieht die UCAS allen Konzernen ihre Exterritorialität im Regierungsgebiet.
Kopfgelder versprechen hohe Profite.So muss man sich den „Chiark“ wohl vorstellen.
Dieser Austritt ist ein gigantischer Knaller und verändert das Leben in den UCAS nachhaltig. Jedes Konzerngelände ist nach den BRA exterritoriales Gebiet – das zählt auch für jeden Stuffer Shack (Aztec), StarKafé (Ares) oder Taco Temple (Aztec). Die meisten Bürger sind keine Landesbürger, sondern Konzernbürger, die damit mindestens in eine ungünstige Lage geraten.
Nach Explosionen und Stromausfällen in allen Städten der UCAS steht der nordamerikanische Staat bald am Abgrund: Ein Großteil der Cyberware funktioniert nicht mehr, GridLink und fast alle lebenswichtigen Technologien von Waffen bis hin zu Türschlössern fallen aus – die gesellschaftliche Ordnung bricht zusammen. Besonders, da durch den Austritt aus den Abkommen Hilfe von außen kaum zu bekommen ist.
Ein Begriff, den man sich merken muss: UCrash!
Als wären Bugs, Kriegsrecht und der Zusammenbruch eines Landes nicht genug, gibt es zusätzlich Angriffe von benachbarten Nationen wie der Republik Québec, die Ottawa angreift und einnehmen will, und den NAN, die es unter anderem auf Dakota, Kansas und drei weitere UCAS-Bundesstaaten abgesehen haben. Kentucky verlässt die UCAS und schließt sich der CAS an, Seattle und St. Louis erklären ihre Unabhängigkeit, UCAS-Vizepräsidentin spricht sich auch für eine Unabhängigkeit Kanadas aus, während Ares seinen Sitz nach Atlanta verschiebt. Die Wahlen bescheren den UCAS das erste Mal einen orkischen Präsidenten.
Der Abschnitt über Detroit wird sehr poetisch eingeläutet …… und die große Veränderung kommt mit einem Paukenschlag.
Nach 51 Tagen Chaos sind weder die UCAS noch Detroit das, was sie einst waren. Gebietsverluste, der Exodus von Ares und der beschämende Wiedereintritt in die BRA hinterlassen ihre Spuren. Detroit hat sein Gesicht verändert und trägt nun den inoffiziellen Namen Motor City – man will sich von der Regierung und den Konzernen distanzieren. Der Wiederaufbau kann dauern, auch wenn es die Stadt nicht so schlimm erwischt hat wie einst Chicago. Gangs übernehmen mehr Kontrolle, Machtstrukturen haben sich verschoben und neue gebildet – eine durchaus reizvolle, wenngleich düstere Spielwelt.
Der Blackout hat weltweite Auswirkungen und einige Reaktionen aus den ADL werden auf den letzten Seiten beschrieben – ein altbekanntes und gern gesehenes Goodie der deutschen Version.
Erscheinungsbild
Das Cover zeigt einen Ares-Soldaten in schwerer Panzerung und mit dicker Knarre, der mit zwei anderen Soldaten in den beleuchteten Häuserschluchten Detroits und zwischen Explosionen gegen Bugs kämpft. Für das Bild posiert er leider eher, was dem ansonsten sehr stimmigen Motiv aber nur einen kleinen Dämpfer verpasst.
Die Quellenbücher der sechsten Edition tragen neben dem Titelbild ein hellblaues Cover und sind im Innenteil hell und ansprechend gestaltet. Dass die Seitenzahlen nicht wie im Grundregelwerk oder dem Quellenband Berlin 2080 oben an den Seitenrändern stehen, sondern in den unteren Ecken, ist im direkten Vergleich ein wenig verwirrend.
Bugs in Detroit.
Beim ersten Überfliegen von Blackout fiel die geringe Bilderdichte auf. Gerade in Quellenbüchern sind viele Bilder hilfreich, die gewünschte Stimmung zu transportieren. Während des Lesens ist diese Stimmung aber durch die Struktur und den sehr spannenden Inhalt dennoch hervorragend transportiert worden und es las sich alles sehr angenehm.
Manche Teile des Quellenbuchs wirken nicht nur inhaltlich wie ein Roman.Zumeist werden die Seiten aber auch ohne Bilder angenehm aufgelockert.
Vor allem die Infokästen und Matrix-Kommentare lockern das Textbild auf, die Gesamtstruktur bietet noch Verbesserungspotenzial. Der Anteil an neuen und qualitativ sehr hochwertigen Bildern ist beim zweiten Blick recht hoch, was an der neuen Edition liegen könnte.
Fazit
Wer Shadowrun nach 2081 verstehen will, muss dieses Buch lesen und hat Glück: Das Quellenbucht liest sich an vielen Stellen wie ein spannender, kommentierter Roman. Es werden eine ganze Menge Inhalte zum spannenden und intensiven Plot um den Blackout, der daraus resultierenden Ausnahmesituation und den politischen Umwälzungen gegeben.
Andererseits fehlen an einigen Stellen die letzten Details, um die vorgestellten Geschehnisse vollends zu erklären. Besonders die Story um den Chiark, ein Monster-Hybrid aus Gepard, Hai und Löwe, wirkt da etwas befremdlich. Inhaltlich ist Blackout aber eines der besseren Shadowrun-Quellenbüchern, die mir bisher in den Händen lagen. Auf etwas über 180 Seiten wird die Spielwelt auf den Kopf gestellt und dutzende Spielangebote gegeben, die Kanon-Spielrunden glücklich stimmen werden.
Wie so oft ist die Struktur des Buches aber problematisch: Die zwei großen Themen, der Blackout mit all seinen Facetten und die neueren politischen Fehlschläge mit den daraus resultierenden Gebietsverlusten, laufen an vielen Stellen parallel und sind zeitlich kaum zu trennen. Im Buch findet diese Trennung jedoch statt, so dass man beim Nachschlagen sicherlich einige Male hin- und herblättern muss. Ein altbekanntes Problem von Shadowrun. Das recht detaillierte Inhaltsverzeichnis erleichtert die Suche nach dem richtigen Absatz etwas.
Wie immer können wir, im Gegensatz zu den Besitzern der englischen Ausgabe Cutting Black, uns über ein paar Seiten zu den ADL freuen.
Für die üblichen knapp 20 Euro erhält der interessierte Leser ein Quellenbuch mit interessanten Inhalten und die Vorbereitung auf einen Kampagnenband, der das Hintergrundwissen in die Praxis bringen soll. Trotz kleinerer, zumeist altbekannter Schwächen, ein Must-have für Runner und jene, die es werden wollen.
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