https://www.teilzeithelden.de/2019/08/26/spieltest-shadowrun-6-battle-royale-zwischen-freiheitskampf-und-soyballs/
Battle Royale ist Teil des Starterpakets.
Sechste Welt, sechste Edition: Das 30-jährige Jubiläum von Shadowrun katapultiert Runner und die, die es werden wollen, direkt ins Jahr 2080. Im Schatten globaler Megakonzerne werden mit Magie, Chrom und Datenbuchse die schmutzigen Kapitel der Weltgeschichte geschrieben. Einen Vorgeschmack auf das, was kommt, bietet das Einstiegsabenteuer Battle Royale.
Im Herbst 2019 erscheint hierzulande das Grundregelwerk zu Shadowrun 6. Spätestens mit Veröffentlichung des Starterpakets von Pegasus Spiele im Juli ist die Vorfreude spielerseitig geschürt. Das mitgelieferte Einstiegsabenteuer dient als erster Spieltest zu Shadowrun 6 – mehr als Grund genug, einen genaueren Blick darauf zu werfen.
Die Spielwelt & Regeln und Charaktererschaffung
Der Schnellstarter von Shadowrun 6 stellt eine abgespeckte Version der eigentlichen Regeln dar, die erst mit Erscheinen des Grundregelwerks hierzulande im Herbst im Ganzen erfasst werden können. Das Vorhaben von Catalyst Game Labs, den Einstieg in das Regelsystem zu erleichtern, ohne auf Spieltiefe verzichten zu müssen – so im Mai 2019 auf der offiziellen Website des Studios angekündigt –, scheint jedoch auf den ersten Blick gelungen zu sein. Die von Megakonzernen dominierte, dystopische Welt von Genrehybrid Shadowrun soll damit auch Spielern offen stehen, die (zu) komplexe Regelsysteme ablehnen.
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Die auf insgesamt 18 Stück reduzierten Aktionsfertigkeiten sowie ein schlankes Regelkonzept für Magie- und Matrixanwendungen erleichtern auch für Shadowrun-Neulinge das Verstehen. Hinzu kommt eine veränderte Handhabe der Initiative. Damit unmittelbar verknüpft ist die Anzahl der Haupt- und Nebenhandlungen, die ein Charakter innerhalb einer Kampfrunde vornehmen kann.
Des Weiteren werden sogenannte Angriffs- und Verteidigungswerte als Indikator für den Erfolg der jeweiligen Handlung verwendet. Mithilfe dieser Werte bzw. ihrer Relation zueinander können sogenannte Edge-Token gewonnen und in Edge-Boosts investiert werden. So können einzelne Feinde, aber auch Schergengruppen, die mehrere Gegner zusammenfassen, besiegt werden.
Ob diese Regeländerungen, die bereits im oberflächlichen Vergleich mit Shadowrun 5 identifizierbar sind, praxistauglich sind, zeigt der Spieltest zu Shadowrun 6.
Spielbericht
Im Schnellstarter sind Kurzdossiers der vorgefertigten Charaktere enthalten.
Dank vorgefertigter Charakterdossiers entfällt eine Charaktererschaffung. Für das Spielen des Einstiegabenteuers ist demnach vor allem auf Spielerseite wenig vorab zu leisten. Die angebotenen vier Charaktere sind unterschiedlicher Natur und vermitteln eine Idee davon, wie vielfältig ein Team von Shadowrunnern aussehen kann. Die Fähigkeiten sind aufeinander abgestimmt; Redundanz oder fehlende, jedoch benötigte, Skills sind nicht gegeben.
Die Testrunde fand am Freitag, den 09.08.2019, online statt. Es wurden Discord und Roll20 als Plattformen zum gemeinsamen Spielen genutzt. Neben der Autorin, die die Spielleitung übernommen hatte, waren vier Spieler aus dem Teilzeithelden-Team – Felix, Johannes, Marc, Norbert – beteiligt. Ein herzliches Dankeschön geht an dieser Stelle an die freiwilligen Tester!
Die Handlung
In diesem Lagerkomplex kommt es zum Showdown.
Beim abendlichen Einkauf im Stuffer Shack werden die Runner von Motorengeräuschen und Gejohle von der Straße gestört. Mehrere Gangs – mithin die Spikes, die Rusted Stilettos, die Ragers und die Ancients – haben eine Luxuslimousine vom Typ Mitsubishi Nightsky eingekesselt und sind gewillt, die hochrangige Insassin an sich zu bringen. Bei dieser handelt es sich um niemand Geringeres als eine Gesandte der UCAS, namentlich Erika Hoffmann, die direkt aus Washington D.C. kommt.
Nach kurzer Kontaktaufnahme mit Hoffmann folgen die Runner der Limousine und den Gangs in einen nahegelegenen Lagerkomplex. Hier kommt es zu kreativen Ablenkungen und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Final kann Hoffmann befreit werden.
Die Regeln und die Umsetzung
Vor allem hinsichtlich der (politischen) Hintergründe ist Battle Royale für Kenner von Shadowrun interessant. In Kombination mit einer dynamischen Handlung, die die Charaktere direkt ins Geschehen stürzt, entsteht eine spannende Plotidee. Für Laien jedoch ist Battle Royale kein geeignetes Abenteuer – es bricht mit gängigen Shadowrun-Klischees. Anstelle eines Gesprächs mit einem Auftraggeber, der nachfolgenden Planung und der tatsächlichen Durchführung steht hier ein spontaner Run.
Mithilfe sogenannter Edge-Boosts können Fertigkeitsproben verbessert werden.
Neben der offenen Frage nach der Sinnhaftigkeit von Battle Royale als Einstiegsabenteuer bestehen Schwierigkeiten im Hinblick auf die Regelgrundlagen:
Während die grundsätzliche Idee, Edge vielfältiger einzusetzen, positiv anzuerkennen ist, hakt die tatsächliche Umsetzung. Die Generierung von zusätzlichem Edge mithilfe der Angriffs- und Verteidigungswerte bzw. aufgrund der Umweltbedingungen eröffnet zwar viele Möglichkeiten, erscheint oft jedoch willkürlich. Hinzu kommt, dass durch beispielsweise erfolgreiche Angriffe generiertes Edge für eine komplett andere Aktion verwendet werden kann. Spielerseitig entstand im Rahmen des Spieltests zu Shadowrun 6 mehrfach Irritation.
Das schnelle Verstehen, das etwa bei einem Spieltest auf einer Convention nötig wird, ist auch bei weiteren Regelaspekten schwierig: So bei den Schergengruppen und bei der Vielzahl der Proben, die zur Durchführung einer einzelnen Kampfhandlung nötig wird.
Spielbarkeit aus Spielleitersicht – Ein Bericht von Yola
Primär spiele ich lieber, als dass ich leite – dennoch finde ich ab und an Freude daran, die Position am anderen Ende des Spieltisches zu besetzen. Ein vorgefertigtes Abenteuer habe ich seit über zehn Jahren nicht mehr geleitet. Damals habe ich meine Spieler mit dem (für das Gruppenspiel angepassten) Soloabenteuer Ewig ist nur Satinav (DSA 3) vom täglichen aventurischen Murmeltier grüßen lassen. Dementsprechend verhalten begegnete ich dem Einstiegsabenteuer aus dem Starterpaket. Positiv fiel mir beim Lesen bzw. Vorbereiten auf, dass Battle Royale sich an erfahrene wie neuere SL gleichermaßen wendet und viele Praxistipps mit sich bringt. Das Abenteuer bietet eine Vielzahl von Hintergrundinformationen (z. B. ein mehrseitiges Dossier über Seattle) an, die der Spielleitung viele Freiheiten an die Hand geben, Modifikationen vorzunehmen. Aufgrund humoristischer Einschübe war das Lesen alles andere als langweilig.
Der Spieltest von Shadowrun 6 bringt auf Seiten des SL viel Arbeit mit sich. Ein spontanes Leiten ist meiner Meinung nach ohne Kenntnisse früherer Shadowrun-Editionen nicht möglich. Das Erstellen von Schergengruppen beispielsweise bedarf Vorbereitung. Auch die Anpassung während des Spiels – u. a. dann, wenn die Schergengruppe sich verkleinert – ist zeitintensiv. Das Nachschlagen von Werten, Beschreibungen und Regeln jedoch hat, wenn überhaupt, nur zu kleineren Verzögerungen geführt. Ich hätte es sehr begrüßt, Illustrationen zu den NSC innerhalb des Abenteuers zur Verfügung stehen zu haben – leider sind diese nicht Teil von Battle Royale.
Unvermittelte Action – Battle Royale zieht die Spieler mitten ins Geschehen.
Ist die Gruppe erst einmal mitten im Geschehen, ist der Fortgang des Runs nur schwer zu stoppen. Allerdings kann es einiges an Kreativität erfordern, einen gelungenen Einstieg zu schaffen. Meine Spieler waren versucht, hinter den schützenden Mauern des Stuffer Shacks abzuwarten – im Angesicht des Gangkriegs vor dessen Tür kein schlechter Gedanke. Doch Geld ist bekanntlich immer ein gutes Argument.
Spielbarkeit aus Spielersicht – Ein Bericht von Norbert
Was ich von einem Schnellstarter (bzw. einer „Beginner Box“, wie das Material im Englischen heißt) erwarte, ist eine kurze und prägnante Darstellung dessen, was das System und die Spielwelt mir bietet, wenn ich mir das Grundregelwerk anschaffe.
Shadowrun in einen Schnellstarter zu stecken, ist wegen der Komplexität des Systems und der Spielwelt eigentlich unmöglich. Wenn man es doch versucht, müssen Abstriche gemacht werden. In diesem Fall beginnt das damit, dass die Charaktererstellung ausgenommen und durch vorgefertigte Charakterdossiers ersetzt werden – grundsätzlich eine gute und sinnvolle Sache. Zusätzlich hat man versucht, sich auf die Basisregeln zu beschränken. Das hat meiner Meinung nach nicht funktioniert, denn man kann gar nicht so richtig festlegen, wo die Grenze zwischen Minimalregeln und vernünftiger Spielbarkeit liegt.
Die Spielwelt wird für den Spieler nur unzureichend vermittelt.
Das Ergebnis ist, dass viele Fragen unbeantwortet bleiben: Wie genau funktionieren vergleichende Sozialproben? Wird der temporäre Edgewert oder der des Charakters zum Würfelpool addiert, wenn man diese 4-Edge-Boost-Option wählt? Warum wird Antimagie erklärt, obwohl es keine magisch begabten Gegner gibt? Et cetera. Wenn ich die Spielwelt und vorherigen Editionen von Shadowrun nicht ausführlich kennen würde, hätte ich sicherlich so manches Problem gehabt. Das ist also die erste Sache, an der der Schnellstarter für mich scheitert: Welt und Regeln in angemessener Länge sinnvoll vermitteln und das beigelegte Abenteuer problemlos spielbar machen.
Liest man die Regeln, wirkt es so, als wollte man im Gegensatz zur Vorgängeredition alles etwas einfacher machen, also entschlacken. Fertigkeiten zusammenzufassen ist dabei eine der besseren Ideen. Ebenso einfachere Matrixregeln. Ich habe die hermetische Orkmagierin Frostburn gespielt und mag die einfache Anpassbarkeit der Kampfzauber – man kann den Schaden oder Radius steigern, muss dafür aber höheren Entzug in Kauf nehmen.
Das grundsätzliche Würfelprinzip ist einfach zu verstehen: Fertigkeits- und Attributswert zusammen ergeben den Würfelpool in W6. Entweder würfelt man gegen einen Schwellenwert oder gegeneinander in einer vergleichenden Probe. Bei Angriffen vergleicht man den Angriffswert und den Verteidigungswert – ist einer der Beteiligten mit vier oder mehr im Vorteil, bekommt der Charakter ein Bonus-Edge.
Eine Vielzahl von Faktoren wirkt sich auf den Angriffs- und Verteidigungswert aus.
Das erinnert ein wenig an das Vor- und Nachteilkonzept von D&D 5. Dass man danach noch rumdiskutieren soll, welche Ausrüstung einem einen weiteren Edgepunkt gibt, ist lediglich nervig. Außerdem verändern sich Angriffs- und Verteidigungswert permanent, wenn man zum Beispiel Eisschaden erleidet, wenn man eine Salve schießt oder wenn man in Deckung ist.
Zuerst wirkt das System also einfacher, dann aber kommen viele kleine, komplizierte Aspekte hinzu, und wenn man ehrlich ist, passt das alles nicht so richtig zu Shadowrun. Es geht doch um Zahlen und Werte, nicht um vage Diskussionen, ob man Edge bekommt, weil man Cyberaugen oder Ähnliches hat.
Einem Neuling würde ich vom Schnellstarter abraten. Das Abenteuer ist nicht repräsentativ für das Spiel, sondern nur Action ohne Antrieb. Erfahrene Spieler würden den „Run“ gar nicht erst angehen, denn er bedeutet unnötigen Ärger ohne viel Gewinn. Erfahrene Spieler werden sich mit vielen Fragen konfrontiert sehen, die ihnen der Schnellstarter nicht beantworten kann. Ich bin ein wenig enttäuscht und hoffe, dass das zur SPIEL 2019 erscheinende Grundregelwerk den schlechten Eindruck der Änderungen am Spielsystem wieder aufheben kann.
Fazit
Eine entführte Luxuslimousine, eine UCAS-Gesandte auf Abwegen und vier konkurrierende Straßengangs: Battle Royale ist ein dynamisches Abenteuer, das einen Vorgeschmack auf die sechste Edition von Shadowrun 6 gibt. Es bewegt sich fernab von system- und spielweltimmanenten Klischees, was für Kenner interessant, für Neulinge allerdings irreführend sein dürfte.
Des Weiteren ist die Masse an (teils vagen) Informationen den Run, die Hintergründe und die Regeln betreffend selbst für erfahrene Chummer schwer zu erfassen. Insgesamt ist mit dem Schnellstarter ein Konstrukt entstanden, welches aufgrund des Umfangs und der Interpretationsspielräume die Grenzen eines „Kennenlernabenteuers“ sprengt.
Battle Royale ist zugute zu halten, dass es allgemeine SL-Tipps – auch für Neulinge – anbietet und zudem eine humoristische Ader aufweist. Es ist darüber hinaus nicht ausschließlich ein Spieltest zu Shadowrun 6, sondern bietet seinem Leser Informationen zur Spielwelt an. Da das gesamte Starterpaket kostenfrei zu erhalten ist, ist zumindest die Lektüre von Battle Royale kein Minusgeschäft, sondern eines, das mit Vorbereitung, Modifikationen und vielleicht einigen klärenden Grundlagen aus dem Shadowrun 6-Grundregelwerk durchaus zu genießen ist.
Artikelbilder: © Catalyst Game Labs, Bearbeitung: Melanie Maria Mazur
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