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Pegasus Spiele hat Ende Februar bekannt gegeben, dass die Übersetzung des Rollenspiels 7te See eingestellt wird. Mit Die Neue Welt ist ein letzter Zusatzband in deutscher Sprache erschienen, der den Kontinent westlich von Théa vorstellt. Wir feuern Salutschüsse und bereisen ein letztes Mal das Atabische Meer.
Am 21. Februar 2019 erreichte alle Fans von 7te See eine Hiobsbotschaft: Nachdem John Wick, Verleger des englischsprachigen Originals, sein Personal drastisch verkleinert hatte und die Erscheinungsdaten weiterer Bände in die Ferne rückten, gab Pegasus Spiele bekannt, dass die Übersetzung ins Deutsche eingestellt wird. Im Rahmen dieser Bekanntmachung wurde auch klargestellt, dass Die Neue Welt das letzte Produkt der Reihe darstellen würde.
Mittlerweile liegt der Band vor, der den Abschluss der Reise in die Welt von Degen und Piraten bilden wird, zumindest in deutscher Sprache. Wie der Name andeutet, wird die Spielwelt deutlich vergrößert, denn Aztlan, der Kontinent westlich von Théa, wird ausgiebig beschrieben und bespielbar gemacht. Nicht nur théanische Helden sollen in der Lage sein, die Dschungel und Wüsten dieses fremdartigen Landes zu erforschen, es soll auch ermöglicht werden, einheimische Helden zu verkörpern.
Wir haben den Regionalband unter die Lupe genommen und sind ein vorerst letztes Mal in die Welt von 7te See eingetaucht. Dabei haben wir überprüft, ob das System mit Die Neue Welt einen würdigen Abschluss gefunden hat.
Inhalt
Bevor die einzelnen Nationen des Kontinents Aztlan im Detail vorgestellt werden, widmet sich der Regionalband zunächst ihrer gemeinsamen Geschichte. Aztlan war einst von einem gleichnamigen Reich bedeckt. Das Zeitalter dieses Reiches war ein goldenes, doch eine nicht näher definierte, kataklysmische Entwicklung bedeutete seinen Untergang.
Aus den Überresten des Großreiches entstanden drei neue Reiche, die ihre jeweils eigene Kultur entwickelt haben. Jedem dieser Reiche widmet der Band ein ausführliches Kapitel. Vorher stellt er aber die Gemeinsamkeiten vor, die alle Kulturen teilen.
Dazu gehören neben dem starken Bezug zum untergegangenen Aztlan vor allem die ähnlichen Religionen, die alle durch die Tatsache geprägt werden, das die Götter der Aztlaner über den Kontinent wandeln und Kontakt mit ihren Gläubigen halten. Sie sind deutlich als übernatürliche Wesen zu erkennen, neigen aber trotzdem manchmal zu allzu menschlichen Launen.
Dieses Verhältnis zum Göttlichen und zur Spiritualität unterscheidet sich grundlegend vom Glauben der Théaner. Auch die anderen Aspekte des selten leichten Zusammenlebens mit den Fremden, die aus dem Osten gesegelt kamen, werden beschrieben. Dabei fällt auf, dass der Fokus deutlich auf den Menschen Aztlans liegt.
Die Théaner, das Pendant zu den irdischen Europäern, sind ein Randelement des Bandes. Im Mittelpunkt stehen die Kulturen der Neuen Welt, die als gleichwertig mit denen Théas gewertet werden. Auch wenn die goldenen Zeiten des alten Aztlans vorüber sind, werden alle Reiche des Kontinents als Hochkulturen dargestellt.
Fragwürdige Praktiken wie religiöse Menschenopfer hat es beispielsweise in der Vergangenheit des Landes gegeben, aber sie wurden durch die freie Entscheidung seiner Bewohner überwunden. Durch diese Art der Darstellung erscheinen die indigenen Kulturen des Kontinents nicht als edle Wilde, sondern als einzigartige, dem westlichen Standard gleichwertige Zivilisationen.
Die drei Reiche
Nachdem eine gemeinsame Basis der Kulturen Aztlans beschrieben wurde, werden die drei Reiche im Einzelnen vorgestellt:
Die Nahuaca-Allianz ist aus vier Stadtstaaten entstanden, die sich nach langen Kriegen verbündet haben und mit einer Mischung aus Diplomatie und Eroberung ihren Einflussbereich über den Norden des Kontinents kontinuierlich vergrößert haben. Die Allianz verfügt über ein starkes Heer und eine umfassende Verwaltung, sowie einen gut ausgebauten Justizapparat. Allerdings wankt das Fundament der Nation, deren derzeitiger Herrscher von vielen als unerfahren und leicht zu beeinflussen wahrgenommen wird.
Nach langer Erfolgsgeschichte steht das Reich jetzt vor dem typischen Problem von Imperien. Die Bürokratie droht, zum Problem zu werden und weitere Eroberungen sind nur schwer zu bewerkstelligen. Außerdem besteht unter den vier Hauptgöttern des Reiches Uneinigkeit darüber, wie man mit den angelandeten Fremden aus Théa verfahren soll.
Tzak K‘an stellt eigentlich keine geeinte Nation dar, sondern eine Ansammlung verschiedenster Stadtstaaten, die sich in den stetiger Veränderung unterworfenen Dschungeln etabliert haben. Die einzelnen Staaten sind durch gemeinsame kulturelle und religiöse Grundlagen verbunden, sind sich darüber hinaus aber selten einig und feinden sich häufig gegenseitig an. Aber nicht nur ein kultureller Kollaps zeichnet sich ab, auch von außen wird das Reich bedroht.
Die geografische und politische Lage zwischen der Nahuaca-Allianz im Norden und Kuraq im Süden bedeutet, dass Tzak K‘an durchgehend einer drohenden Invasion durch einen oder beide Nachbarn entgegen sieht. Bisher haben sich die einzelnen Städte noch nicht auf ein gemeinsames Vorgehen gegen diese Gefahr einigen können. Tatsächlich lautet die Frage weniger, ob Tzak K‘an untergehen wird, sondern eher, auf welche Weise.
Kuraq, das südlichste der drei Reiche wird von einer absolutistischen Monarchin regiert, die dank des Einsatzes von Totenmagie bereits mehrere Jahrhunderte an der Macht ist. Sie plant, ihren Totengott über alle anderen Götter zu erheben und den gesamten Kontinent unter ihrer Herrschaft zu vereinen. Wie die Nahuaca-Allianz im Norden blickt auch Kuraq in seinen Expansionsbestrebungen in Richtung Tzak K‘an.
Ihre Politik der Jagd auf Götter findet allerdings nicht nur Zuspruch innerhalb der Bevölkerung von Kuraq. Ein von den verfolgten Göttern gesegneter Widerstand hat sich gebildet und verfolgt das erklärte Ziel, die verkommene Herrscherin zu entmachten. Dass fast alle Aspekte des täglichen Lebens der Bevölkerung von den Geistern der Ahnen überwacht und bestimmt werden, macht diese Rebellion schwierig und gefährlich.
Nichtspielercharaktere mit Szenariovorschlägen
Für jedes der drei Reiche werden neben den beschreibenden Texten auch acht Nichtspielercharaktere vorgestellt. Jede dieser Figuren kommt mit kleinen Szenariovorschlägen daher. Leider wird die Art, wie die einzelnen NSCs kategorisiert werden, aus dem früheren Quellenband Helden & Schurken übernommen und nicht weiter erläutert, was die Nutzbarkeit für Spielleiter, die den Band nicht besitzen, etwas erschwert.
Was den Nutzen der einzelnen Kapitel ebenfalls einschränkt, ist eine fehlende Übersicht über die Kerninformationen. Die Fließtexte laden zwar zum gemütlichen Lesen ein, aber im laufenden Spiel wird es schwierig werden, selbst grundlegende Informationen im Buch wiederzufinden. Hier hätten Übersichtskästen mit allen Eckdaten in Stichpunkten zu jedem der drei Reiche sehr geholfen.
Manche Informationen sind sogar noch schwieriger zu verorten, da sie in unerwarteten Kapiteln stehen. Im allgemeinen Kapitel zu Aztlan wird etwa die théanische Archäologie in der neuen Welt beschrieben. Dabei werden mehrere Fallbeispiele aus den einzelnen Reichen aufgeführt, die in den Beschreibungen der jeweiligen Reiche besser aufgehoben wären.
Nachdem nun der Kontinent Aztlan und seine Kulturen vorgestellt wurden, folgt eine Sammlung verschiedener Spielmaterialien, die es ermöglichen sollen, Helden aus Aztlan zu erschaffen und Abenteuer auf dem Kontinent stattfinden zu lassen. Neben neuen Charakterhintergründen und -vorteilen werden neue Wege der Zauberei, Duelltechniken, Schiffscharakteristika und die obligatorischen Geheimgesellschaften vorgestellt. Spielleiter, die Abenteuer in Tzak K‘an entwerfen wollen, finden sogar einen kompletten Baukasten vor, um einen eigenen Stadtstaat zu kreieren.
Relativ wenige Kombinationsmöglichkeiten
Die Vielfalt des angebotenen Materials ist prinzipiell sehr ansprechend und dürfte jeder Spielrunde, die Aztlan in ihre Geschichten einbinden will, etwas bieten. An zwei Stellen hätte es allerdings deutlich mehr sein dürfen:
Der Ansatz des Bandes besteht offensichtlich darin, das Spiel mit aztlanischen Helden in den Fokus nehmen. Das ist auf jeden Fall begrüßenswert, wird aber beim Spielmaterial nicht umgesetzt. Es werden nur vier allgemeine Hintergründe für Charaktere angeboten, von denen nur zwei zu indigen aztlanischen Helden passen. Dazu kommen noch jeweils vier Hintergründe je nach gewählter Kultur.
Insgesamt ergeben sich also sechs mögliche Hintergründe für den Charaktere, von denen zwei gewählt werden. Da sich einzelne kulturspezifische Hintergründe gegenseitig ausschließen, bleiben relativ wenige Kombinationsmöglichkeiten. Hier wurde théanischen Helden in den früheren Bänden der Reihe eine weitaus größere Auswahl geboten.
Auch der Abschnitt zur Gestaltung von Abenteuern in Aztlan ist bedauernswert kurz geraten. Gerade mal drei Seiten widmen sich den möglichen Dramen, die théanische und aztlanische Helden in der neuen Welt erwarten können. Für interessierte Spielleiter wird hier leider bei weitem nicht genug angeboten, selbst wenn man die Szenarioideen aus den Beschreibungen der oben genannten NSC mitrechnet.
Nach dem ersten Lesen des Bandes drängt sich der Eindruck auf, dass er an den typischen Problemen von Regionalbeschreibungen für Rollenspielen leidet. Die Texte sind umfassend, detailliert und im Großen und Ganzen angenehm zu lesen. Leider wurde die Nutzbarkeit im Spiel vernachlässigt.
Über große Strecken besteht Die Neue Welt aus reinen Informationstexten, die Wissen über die Spielwelt vermitteln. Was fehlt sind die Anregungen, wie dieses Wissen in spannendes Rollenspiel umgewandelt werden kann. Damit schafft der Band es leider nicht, sich von der Masse abzusetzen, sondern bleibt nur guter Durchschnitt.
Erscheinungsbild
Wie schon die vorherigen Bücher der Reihe erscheint auch Die neue Welt als vollfarbiges Hardcover. Die zahlreichen Illustrationen verteilen sich angenehm über den Band und vermitteln einen guten Eindruck des beschriebenen Teils der Spielwelt.
Leider wird diese sonst tadellose Optik an einigen Stellen durch auffällige Tipp- und Satzfehler gestört. Der Gesamteindruck wird davon zwar nicht zunichte gemacht, aber diese kleinen Mäkel fallen trotzdem ins Auge.
Fazit
Mit Die Neue Welt findet die deutschsprachige Übersetzung von 7te See ihr Ende. Für Fans des Systems wird der Regionalband den Abschied sowohl schwer als auch leicht machen. Denn er bietet gute wie schlechte Seiten.
Hervorragend gelungen ist die Darstellung der auf Aztlan ansässigen Kulturen und ihrer gemeinsamen Vergangenheit. Die Völker der neuen Welt sind keine Wilden, die von den zivilisierten Théanern erobert werden, sondern stellen eigene Hochkulturen dar, die auf ihre Weise auf einer Entwicklungsstufe mit den östlichen Nachbarn stehen. Wünschenswert wäre aber eine kompaktere Zusammenfassung und klarere Ordnung der Inhalte.
Gruppen, die eine reine Aztlan-Kampagne spielen möchten, werden also mehr als genug Informationen vorfinden. Leider kann der Regelteil des Buches weitaus weniger Material anbieten, wenn es darum geht, aztlanische Charaktere zu erschaffen. Die enthaltenen Elemente sind gelungen, fallen aber zum Teil etwas spärlich aus, ebenso wie die Hilfestellungen für eigene Abenteuer in der neuen Welt.
Am Ende kann die Flagge für Die neue Welt also nur auf Halbmast gehisst werden. Und mit dieser Flagge entbieten wir auch der 7ten See einen vorerst letzten Gruß.
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