https://www.teilzeithelden.de/2019/05/27/ersteindruck-explorers-du-bist-entbehrlich-tom-vogt/
Im Universum hat sich die Menschheit über tausende Sternsysteme ausgebreitet. Die Grenzen des Imperiums müssen bewacht und neue Welten erforscht werden. Um die kostbaren Menschenleben zu schützen, wird auf eine Alternative zurückgegriffen: Klone. [explorers] stammt aus dem Hause Not Very Professional Games – ein tolles Sci-Fi-Rollenspiel, oder ist der Name Programm?
Einer der großen Vorteile des Universums ist seine Unbegrenztheit. In die endlosen Weiten können nahezu beliebig Sternsysteme, Planeten, Monde, Raumstationen und ganze Galaxien als Spielwiese platziert werden. [explorers] setzt genau hier an und eröffnet sich ein Spektrum an Möglichkeiten in alle erdenklichen Richtungen. Was hätte das für gesellschaftliche Konsequenzen? Fremde Welten bergen auch bis dato unbekannte Gefahren.
Würde man wirklich Menschenleben für die Erforschung aufs Spiel setzen, wenn es andere Möglichkeiten gäbe? In [explorers] verkörpern die SpielerInnen menschliche Klone, die zwar gebraucht, aber als Untertanen und entbehrlich eingestuft werden. Nicht nur den fremden Welten, sondern auch dem moralischen Dilemma könnte man sich als Spielrunde in [explorers]
Eine Welt ist nicht genug: Das Setting
Wir befinden uns im Jahr 376 des Galactic Human Empire. Die Menschheit hat sich über tausende Welten in vielen Sternsystemen ausgebreitet. Armut, Knappheit, Krankheit und sogar tägliche Arbeit gehören zu den Kuriositäten der Vergangenheit. Die Menschen des Imperiums verbringen ihre Zeit in einem fortwährenden Urlaub, ausgefüllt mit Philosophie und Kunst, oder einfach mit Entspannung und Spaß. Die Menschen leben ein gutes Leben – Klone jedoch sind keine Menschen. Obwohl nach menschlichem Vorbild konstruiert, werden sie als Untergebene, gar als Sklaven, angesehen und entsprechend behandelt. Die Erkundung unbekannter, potenziell gefährlicher Welten fällt ihnen ebenso zu wie das Bewachen der Grenzen des Imperiums gegen Aliens.
Die Bevölkerung des Imperiums unterscheidet strikt zwischen Menschen und Klonen. Menschen sind echt, wertvoll und existieren um ihrer selbst willen. Klone hingegen sind Produkte, ersetzbar und sollen nützlich sein. Obwohl Klone auf der Basis von menschlicher Gensaat hergestellt werden, haben sie eine stark reduzierte Lebenserwartung sowie zahlreiche kleinere Veränderungen, um dem angedachten Leben als Klon gerecht zu werden. Infolgedessen bekam Reinheit einen großen Stellenwert, und nur wenige sorgfältig ausgewählte genetische Behandlungen werden für Menschen in der Gesellschaft akzeptiert. Klone werden als Untermenschen angesehen, und einen Mitmenschen als Klon zu betiteln, ist eine schwerwiegende Anschuldigung und/oder Beleidigung.
Die Trennung zwischen Klonen und Menschen ist in vielen Teilen des Imperiums derart nachhaltig, dass es im Grunde genommen zwei Reiche gibt: Ein reines Menschenimperium im Zentrum, und ein Randgebiet darum herum. Viele Menschen in den Kernwelten des Reiches sehen in ihrem ganzen Leben keinen einzigen Klon. Im Randgebiet sind immer die Menschen die Gebieter und Klone die Sklaven.
Im Folgenden wartet die Settingbeschreibung auch mit technischen Aspekten auf und erläutert kurz und knapp verschiedene Technologien wie die Subspace Technology, Anti-Grav Technology und Clone Technology. Auch auf Lebensformen im Universum wird kurz eingegangen. Auf nur wenigen Seiten zeichnet das Setting ein dystopisch anmutendes Bild einer zweigeteilten Gesellschaft. Dabei geht es kaum in die Tiefe oder ins Detail. Es werden beispielsweise keine exemplarischen Kern- oder Randwelten vorgestellt, ebenso wenig, wie der Alltag in der futuristischen Gesellschaft aussieht. Sind es düstere Megacities wie in Blade Runner? Oder elitäre Villen wie in Elysium?
Die dargelegten Inhalte bleiben vom Detail- und Informationsgrad her stellenweise etwas zu sehr an der Oberfläche, und vereinzelt kommen Fragen hinsichtlich der Stimmigkeit auf. Beispielsweise erscheinen Hundert Jahre als genannter Zeitraum für die Besiedlung neuer Welten ohne Überlichtgeschwindigkeitsreise sehr knapp bemessen. Tägliche Arbeit gehört der Vergangenheit an – wird sie dann von Maschinen erledigt? Wie kann eine solche Gesellschaft funktionieren?
Womöglich hat man es sich an dieser Stelle etwas zu einfach gemacht, da nicht vorgesehen ist, im Rahmen des Spiels in die Kernwelten zu gelangen. Aber wie verhält es sich im Randgebiet des Imperiums, der offenbar ein Mischbereich sein soll? Eher unerfahrene SpielleiterInnen werden sich möglicherweise etwas schwertun, den offen gehaltenen Rahmen zu füllen. Etwas konkreter hätte es also schon sein dürfen. Wer jedoch Worldbuilding mag und kann, hat noch reichlich Freiraum für eigene Kreationen.
Roll The Dicepool: die Regeln
Gleich zu Beginn des Buches gibt es einen Überblick, was [explorers] sein möchte: kooperativ, modular und erzählend. Gespielt werden sollen einzelne, abgeschlossene Missionen, keine Kampagne, wie es beispielsweise in Dungeons & Dragons üblich ist. Der modulare Missionsablauf ist ein großer Vorteil für Gruppen, die sich unregelmäßig und/oder in unterschiedlicher Besetzung zum Spielen treffen. Material für eine fortlaufende Story möchte das Werk ganz bewusst nicht liefern, aber mit etwas Eigenleistung lassen sich problemlos mehrere Missionen zu einer Gesamtgeschichte verbinden.
Das Würfelsystem benötigt grundsätzlich einen Vorrat gleichartiger Würfel in zwei Farben. Empfohlen wird hier der zehnseitige Würfel. Mit den unterschiedlich farbigen Würfeln werden Würfelpools gebildet, die sowohl Können des Charakters als auch die Schwierigkeit der Probe abbilden. Entweder wird gegeneinander gewürfelt oder sogar alles in einem Würfelpool zusammengefasst. In [explorers] gibt es keinen Schwierigkeitsgrad zu erreichen, sondern es findet eine konkurrierende Probe statt. Das Zusammenstellen eines Würfelpools geht zügig vonstatten, ebenso das Auswerten und Weiterspielen. Bremsende Elemente wie Zuschläge, Tabellen, etc. gibt es nicht. Dezent wirkende Variationen wie einen Dice Pool Modifier oder das Vergeben von Bonuswürfeln ermöglichen es, unterschiedliche Situationen und Gegebenheiten abzubilden.
Dem Thema Power-Gaming werden eineinhalb Seiten gewidmet, und entgegen der gängigen ablehnenden Haltung wird hierzu ein Stück weit dafür geworben, das System gern schamlos auszunutzen. Gemeint sind hierbei im Speziellen die Dice Roll-Over und Bonus-Dice-Regeln. Beide Regeln basieren auf gelungen dargestellten Spielinhalten und können gleichzeitig das Ergebnis einer Probe nach oben katapultieren. In diesem Sinne möchte [explorers] seine SpielerInnen ermutigen, sich zu einem gewissen Grad dem Power-Gaming zu bedienen. Letztendlich soll das erzählerische Spiel gefördert und belohnt werden. Mit diesem Ansatz hebt sich [explorers] unter den Rollenspielen etwas hervor, ohne die Spielgruppe zu den nächsten Marvel’s The Avengers machen zu wollen.
Auch bei Kämpfen soll ein flotter Spielfluss beibehalten werden. Aktionen werden angesagt, entsprechend bildet jeder seinen Würfelpool und alle würfeln gleichzeitig. Das setzt allerdings voraus, dass genügend Würfel vorhanden sind, und das können je nach SpielerInnenanzahl nicht gerade wenig sein. Ist das nicht gegeben, kann das gut gemeinte beschleunigte Kampfsystem nicht angewandt werden. Die Regeln bleiben hier einfach und klar verständlich, und statten den ohnehin notwendigen Würfelpool mit weiterer Funktionalität aus. So wird zum Beispiel auch die Anzahl der Treffer bei einem erfolgreichen Angriff aus demselben Angriffswurf abgelesen. Mit den Advanced Combat Rules kann wahlweise noch etwas in die Tiefe gegangen und Komplexität erzeugt werden.
Für den Bereich Ausrüstung hat [explorers] ein funktionales und zum Setting passendes System adaptiert. Vor Missionsantritt darf sich das Team (die Charaktere der SpielerInnen) ausrüsten. Hierfür wird wie im Warhammer 40k Deathwatch-Rollenspiel mit Requisition Points gearbeitet, die sich gemäß der Herausforderung der Mission und auch nach Anzahl der SpielerInnen ergeben.
Mit diesen Requisition Points können dann Ausrüstungsgegenstände für die Mission erworben werden. Angesichts ständig wechselnder Ausrüstung (vor und womöglich auch während einer Mission) stellt [explorers] Ausrüstungskarten zur Verfügung, um aufwendiges Notieren und Korrigieren auf einem Charakterbogen zu vermeiden. Auf den Ausrüstungskarten ist zudem die Funktionsweise des jeweiligen Gegenstands erklärt. Dieses Prinzip erscheint im Hinblick auf die angedachte Anwendung ausgesprochen sinnvoll und praktisch.
Frisch aus der Klonfabrik: die Charaktererschaffung
Die Charaktererschaffung in [explorers] erfolgt in vier Schritten: Charakterkonzept, Auswahl der Fertigkeiten, freie Würfelwurfwiederholungen und Anforderungspunkte für Ausrüstung. Insgesamt stehen zwanzig Punkte für die Erschaffung der Spielfigur zur Verfügung, die man bedenkenlos ausgeben sollte, da sie sonst verfallen.
Insgesamt geht die Charaktererschaffung unkompliziert und schnell vonstatten, lediglich beim Background und dem Äußeren kann man sich natürlich nach eigenem Ermessen viel oder wenig Arbeit machen. Der Charakterbogen ist schlicht und funktional aufgebaut. Er erfüllt seinen Zweck, hätte aber mit ein paar gestalterischen Ideen noch etwas aufgepeppt werden können. Mit Mission Credits (hier Abenteuerpunkte) kann die Spielfigur in den oben genannten Bereichen später verbessert und auch mit Implantaten ausgestattet werden.
„Auskoppeln in 3 … 2 … 1“: die Missionen
Im dritten Teil des Regelwerkes wird grundsätzlich auf die Missionen in [explorers] eingegangen, auf die die Spielercharaktere entsandt werden können. Da hier eine klare Delegierung der zu erledigenden Aufgabe stattfindet, haben Missionen eine einheitliche Grundstruktur und beinhalten Punkte wie Briefing, Transport und natürlich Exploration.
Die einzelnen Schritte werden genauer ausgeführt, um sie inhaltlich zu verstehen. Für die Spielleitung gibt es zu jedem Schritt ergänzende Hinweise, wie beispielweise, dass das Briefing als Meeting stattfinden, aber auch über vorbereitete Handouts laufen kann. Ebenso folgen Überlegungen und Tipps zum Spielleiten: Welche Vorbereitungen sind ratsam? Wie lässt sich das Spieltempo gestalten? Wie funktionieren Improvisation und das Erzählen der Geschichte? Neulinge im Spielleiten werden hier mit grundlegenden Dingen ausgestattet, um [explorers] spielen zu können. Erfahrene GM werden diesen Teil eher überfliegen. Dennoch lohnt es sich hineinzuschauen, um spielspezifische Dinge abzugreifen (z. B. die Vergabe der Mission Credits oder was passiert, wenn eine Mission scheitert).
Großer nächster Block ist das Erstellen eigener Missionen. Im Vordergrund bei [explorers] steht das namensgebende Erkunden und Entdecken, daher müssen sich immer auch Gedanken über den Zielplaneten, Flora & Fauna, Kulturen, Bedrohungen, etc. gemacht werden. Das Creating-Mission-Chapter führt hier Schritt für Schritt durch die wichtigsten Punkte, liefert kurze, verständliche Erklärungen und auch Möglichkeiten, eine Kampagne zu gestalten.
Den Abschluss dieses Kapitels bilden drei unterschiedliche Beispielmissionen, die voll ausgearbeitet und als Startmissionen einer neuen Gruppe geeignet sind. In First Encounters wird das Team zu einem vielversprechenden erdähnlichen Planeten entsandt, auf dem eine gefährliche Entdeckung auf sie wartet. In Talk is Cheap landet das Team auf einem Planeten, der von sprechenden Tieren bewohnt wird – und einer hochreligiösen Kolonie als Überbleibsel des Ersten Imperiums. Die dritte Mission lautet Distress Signal und entsendet das Team auf eine waghalsige Rettungsmission von kostbarem Menschenleben. Hier wird schnell deutlich: Klone sind entbehrlich …
Die Missionen wirken durchdacht, abwechslungsreich und sind eine gute Möglichkeit, [explorers] kennenzulernen.
Last but not least: der Anhang
Der Anhang beinhaltet wichtige, ausdruckbar gestaltete Seiten wie das Charakter Sheet, eine Übersicht für neue SpielerInnen von [explorers], Ausrüstungs- und Fahrzeugkarten oder auch ein Quick Reference Sheet. Hier gibt es dezente und schöne farbliche Gestaltung, aber auch schwarz-weiß ist das Druckergebnis sehr gut.
Ein mehrseitiger Teil widmet sich der Dice Statistics, samt Erklärung und graphischer Darstellung. Dieser Abschnitt ist nicht zwingend relevant für das Spiel und wegen seines speziellen Charakters nur für eine kleinere Zielgruppe interessant.
Eine Bereitstellung als separater Download im Sinne von Bonusmaterial wäre völlig ausreichend gewesen. Vorhanden und wichtig ist der Bereich Thoughts and Inspirations, in dem der Autor darlegt, welche anderen Werke ihn inspiriert, und stellenweise recht deutlich, wie beispielsweise bei der Ausrüstung, als Vorlage gedient haben. [explorers] bedient sich hier der Idee unter Erwähnung der Quelle, bringt aber noch eigene Umsetzungsmethoden wie die Ausrüstungskarten mit. Dieses Vorgehen erscheint in dieser Form legitim.
Object Scan: das Erscheinungsbild
Für diesen Ersteindruck lag das Werk als PDF-Datei vor. Es ist vollfarbig, hat allerdings nur wenig Artwork vorzuweisen. Die Bilderqualität ist bezüglich Farben und künstlerischer Gestaltung durchwegs gut. Das Werk hat 177 Seiten, eine klar strukturierte Kapitelübersicht und Index am Schluss. Die Textgestaltung ist ohne Mängel: Alles lässt sich durchwegs gut lesen, an passenden Stellen wurden mittels der Layoutgestaltung einzelne Passagen wie GM-Tips separiert und hervorgehoben.
Bonus/Downloadcontent
Wer das Equipment-Card-Deck nicht ausdrucken will, kann es hier beziehen. Auf der Website zum Spiel gibt im Downloadbereich z. B. Character Sheets und Gamemaster Sheets, aber auch einen Mission Timer und Planet Generator.
Fazit
Mit [explorers] bekommt man ein Science-Fiction-Rollenspiel, in dem die SpielerInnen Klone verkörpern. Jene Klone werden auf gewagte Missionen entsandt, die sich nicht nur um das Erkunden neuer Welten drehen müssen. Es gibt genügend Spielraum sowohl im Setting als auch im Missionsaufbau, abwechslungsreiche Einsätze zu gestalten. Vorgesehen sind Stand-alone-Abenteuer, jedoch ist es auch möglich, eine Kampagne zu spielen.
Das dystopisch anmutende Setting wird ausreichend dargelegt, um einen Eindruck der Gesellschaft zu bekommen, geht aber nicht sonderlich in die Tiefe oder ins Detail. Dadurch bleiben Fragen, aber auch Freiheiten für die Spielleitung. Als Würfelsystem werden zehnseitige Würfel in zwei verschiedenen Farben empfohlen, aus denen bei Proben Würfelpools gebildet werden. Die Regeln sind eingängig und verständlich erklärt. Sie treffen auf einer Skala von schlicht bis komplex gut die Mitte. Auch das Kämpfen wird möglichst unkompliziert abgebildet, da auch hier, wie insgesamt immer wieder betont wird, das Erzählen einer Geschichte im Vordergrund stehen soll.
Die Charaktererschaffung ist zügig erledigt, lediglich der Charakterbogen könnte optisch etwas mehr Ambiente abbilden. Um als SpielleiterIn Missionen zu erschaffen, gibt es ein ausführliches Kapitel samt Leitfaden, der eine klare Struktur hierfür vorschlägt. Enthalten sind drei voll ausgearbeitete unterschiedliche Missionen, die sich als Einstieg gut eignen.
Der Anhang liefert spielrelevantes Material wie Charakterbögen und Ausrüstungskarten, aber auch eine Quellenangabe von Werken, die hier adaptierte Ideen beinhalten. Layout und Gestaltung des Regelwerks sind tadellos und wirken professionell. Der Preis ist vollkommen in Ordnung, wirkt sogar eher günstig im Hinblick auf den inhaltlichen Umfang, bei dem nichts fehlt, um gleich losspielen zu können.
Für diesen Ersteindruck lag die PDF-Ausgabe vor. Er basiert auf dem Lesen des Werkes, dem Erstellen eines Charakters sowie Ausprobieren des Würfelsystems. Ein Spieltest ist nicht geplant.
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