Von heute auf morgen zum Gott erwählt: Wie schaffen es die Charaktere, die neugewonnene göttliche Macht und Verantwortung mit ihrer 60-Stunden-Arbeitswoche und ihren familiären Verpflichtungen in Einklang zu bringen? Part-Time Gods of Fate macht das gleichnamige d20-System mit Fate Core-Regeln spielbar.
Ersteindruck: Part-Time Gods of Fate – Superheldengleiche Teilzeitgötter (Fate Core)
Part-Time Gods of Fate ist eine englischsprachige Konvertierung des d20-Systems Part Time Gods of Fate von Third Eye Games für Fate Core. Menschen werden vom einen auf den anderen Tag auserwählt und von einer göttlichen Macht erfüllt – sei es aufgrund eines mystischen Rituals, weil sie die Prinzipien der Macht besonders gut vertreten oder auch, weil sie gerade zufällig in der Nähe waren, als ein anderer Gott verstarb. Von nun an kämpfen sie damit, ihre göttliche Macht und Verantwortung mit ihrem weltlichen, menschlichen Leben in Einklang zu bringen. Denn es ist gar nicht so einfach, Beziehungen zu pflegen und die eigene Karriere voranzutreiben, wenn uralte Monster und neidische Götter die eigene Welt bedrohen ...
Das Leben als Teilzeitgott
Part-Time Gods of Fate enthält keinerlei Settinginformationen, dazu müsst ihr euch das separat erhältliche Part Time Gods-Regelwerk kaufen. Um euch zu zeigen, was ich an dem Setting so spannend finde, gebe ich euch daher eine kleine Zusammenfassung: Eine mystische Urkraft – die Quelle – hat vor Urzeiten einige Menschen zu Göttern mit nahezu unbegrenzter Macht erhoben. Die Götter wurden jedoch neidisch auf die Quelle und versiegelten sie gemeinsam, wodurch sie einen Teil ihrer Macht und ihre Unsterblichkeit verloren. Während die geschwächten Götter untereinander Kriege ausfochten, um sich gegenseitig ihre Macht zu stehlen und ihre Sterblichkeit zu überwinden, sickerte die Quelle langsam aus ihrem Gefängnis heraus und verlieh mythischen Monstern die Kraft, sich gegen die Götter und ihre Schöpfung zu stellen.
Die Konversion spielt in der heutigen Zeit unserer Welt, in der Geschichten über antike Götterkriege nicht mehr als Erzählungen sind. Die nunmehr sterblichen Götter haben längst gelernt, dass sie menschliche Nähe und Beziehungen brauchen, um sich nicht zu sehr von den Menschen zu entfremden, die sie sonst aufgrund ihrer Fremdartigkeit bekämpfen würden. Daher dreht sich Part-Time Gods of Fate am Spieltisch um zwei Fragen: Wie nutze ich meine göttliche Macht, um mich finsteren Bedrohungen entgegenzustellen und meine Ziele zu erreichen? Und wie bringe ich dies mit meinem menschlichen Leben in Einklang, ohne alle mir nahestehenden Personen durch meine Geheimnisse zu vergraulen? Im Grunde spielt es sich damit wie ein Superheldenrollenspiel, in dem die Superhelden ihre geheime Identität und ihre nächtlichen Tätigkeiten vor ihren Liebsten verheimlichen müssen, um sie nicht vor den Kopf zu stoßen oder in Gefahr zu bringen. Das klingt erstmal sehr spannend – schauen wir mal, wie Phil Vecchione, Chris Sniezak, Shawn Merwin und Robert M. Eversion das Setting in Fate Core umsetzen.
Charaktererstellung
Göttliche Aspekte
In Part-Time Gods of Fate stellt jeder Spieler einen Gott dar. Jeder dieser Götter besetzt eine bestimmte Domäne, beispielsweise aus den Bereichen Emotionen (Gott der Liebe), Objekte (Gott der Computer), Berufsgruppen (Gott der Anwälte), Tiere (Gott der Affen), Konzepte (Gott der Jagd) oder Elemente (Gott des Sturms). Neben diesem göttlichen Aspekt besitzt jeder Charakter einen menschlichen Aspekt, der dessen Profession und seine größte Leidenschaft umfasst (z.B. Bauarbeiter und Familienmensch, Barkeeper und frustrierter Autor, ...). Der dritte Aspekt wird durch die Theologie definiert, der ein Charakter angehört. Theologien sind bis auf eine Ausnahme Gruppierungen von Göttern, die ähnliche Grundeinstellungen besitzen. So glaubt eine Gruppierung, dass man sich als Gott über die Menschheit erheben müsse, während eine andere Gruppierung die Ansicht vertritt, dass man mit Menschen zusammenleben und ihnen möglichst helfen sollte. Eine Ausnahme, die mir nicht besonders gefällt, stellen die Koboldfresser dar. Sie sind Kannibalen, die durch das Einverleiben anderer magischer und göttlicher Wesen einen Teil ihrer Macht erhalten. Abgesehen davon, dass jede Spielrunde für sich entscheiden muss, ob sie Kannibalen in einem Superheldenrollenspiel als Spielercharaktere zulassen will, finde ich es konzeptionell seltsam, dass sieben von acht angebotenen Theologien nur Ideologien darstellen, während die achte spielmechanische Vorteile bringt. Dass diese mechanischen Vorteile auf lange Sicht mit dem Fate-Konzept brechen, bei dem jeder Charakter gleich kompetent ist und dadurch ähnlich oft glänzen kann, finde ich auch nicht besonders elegant. Schöner wäre es, wenn jeder Gott die Möglichkeit hätte, auf diese Weise an Macht zu gewinnen, sich aber nur die Koboldfresser kollektiv für ritualisierten Kannibalismus entscheiden.
Die letzten beiden Aspekte werden schließlich menschlichen Beziehungen gewidmet, die neben dem ihnen zugeordneten Aspekt auch noch eine Stressleiste besitzen. Solche Beziehungen können Beziehungen zu anderen Personen, aber auch soziale Verpflichtungen zu Gruppen und Vereinen oder emotionale Beziehungen zu besonderen Orten sein. Die Länge dieser Stressleisten ist abhängig von der Erholungsrate eines Charakters. Kurz gesagt: Je kürzer die Erholungsrate, desto kürzer die Stressleisten.
Manifestationen göttlichen Wirkens
Neben der normalen Fertigkeitenpyramide verfügen Charaktere über weitere Fertigkeiten, sogenannte Manifestationen, die separat verwaltet werden. Die Manifestationen stellen die Fähigkeit der Götter dar, die Realität nach ihren Wünschen zu formen. Die acht Manifestationen sind sehr abstrakte Beschreibungen von Realitätsveränderungen (Schutz, Herbeiwinken, Reisen, Schergen, Puppenspiel, Orakel, Zerstörung, Formen), die auch schon im Originalsystem eher als Freiform verwendet wurden und sich daher schön auf Fate übersetzen lassen. Die genaue Ausprägung einer Manifestation wird von der Domäne eines Gottes bestimmt. So kann der Gott des Blutes mit der Manifestation Schutz beispielsweise eine Kugel aus Blut erschaffen, die ihn umgibt und vor Angriffen schützt, während der Gott der Ratten einen Rattenschwarm beschwört, der es seinem Gegner erschwert, ihn anzugreifen. Gefällt mir gut, weil es sehr gut in das Designkonzept von Fate passt!
Stunts, Superkräfte und Artefakte
Schließlich wählt jeder Charakter noch einen menschlichen Stunt und ein göttliches Extra aus. Göttliche Extras sind Superkräfte oder Artefakte, die in der Regel wie mächtige Stunts aufgebaut sind und ein bis zwei Punkte Erholungsrate kosten. Von den maximal vier übrig behaltenen Punkten Erholungsrate kann der Charakter anschließend noch bis zu drei für weitere Stunts oder Extras ausgeben. Die im Regelwerk vorgeschlagenen Extras sind sehr kreativ und zeigen gekonnt, wie sich Superkräfte im Rahmen des Fate-Regelwerks umsetzen lassen. An manchen Stellen erscheinen sie mir persönlich aber auch zu detailliert in ihrer Mechanik (wer Mindjammer kennt weiß, welchen Detailgrad ich meine). Außerdem bezweifle ich, dass alle Extras in Bezug auf ihre Erholungsratenkosten ausbalanciert sind. Da aber schon das Fate Core-Regelwerk zeigt, wie schwierig es ist, gute Stunts zu formulieren, will ich dies nicht zu stark kritisieren. Schließlich bin ich kein Freund davon, dass einige Extras dadurch aktiviert werden müssen, dass eine Probe gegen eine Schwierigkeit von +3 bestanden wird: Extras sind einzigartige Eigenheiten eines Charakters, Elemente, die ihn ins Spotlight rücken und dort glänzen lassen. Das Nutzen eines solchen Extras sollte nicht vom Würfelglück abhängen. Da für das Aktivieren der meisten Extras auch noch Fate-Punkte ausgegeben werden müssen, kann ein missglückter Würfelwurf wohl nur noch selten korrigiert werden, sodass das Aktivieren des Extras – also das Nutzen der coolen Kraft, des mystischen Artefakts – einfach fehlschlägt oder nur mit einem großen Haken gelingt. Weil diese Regelung den Einsatz von göttlichen Extras oft unspektakulär machen wird, finde ich sie sehr unglücklich.
Fate-Punkte: Der göttliche Funke
Apropos unglücklich: Auch sehr ungünstig finde ich, dass der Funke (die Göttlichkeit der Charaktere) mit dem Vorhandensein von Fate-Punkten gleichgesetzt wurde. Im Originalsystem gibt es Funken-Punkte, die der Charakter bei Steigerungen kaufen und dann einsetzen kann, um Proben zu verbessern. Diese Funken-Punkte spiegeln seine göttliche Macht wider: je mehr Funken einem Charakter innewohnt, desto weniger menschlich ist er und desto weniger menschliche Beziehungen besitzt er. Sollte er jemals zehn Punkte besitzen, wird er vollständig zu einem unmenschlichen, unverständlichen Gott – und damit zu einem NSC.
Was vor dem Hintergrund der Spielwelt plausibel erscheint, funktioniert leider nicht reibungslos, wenn man diese Mechanik in Fate-Punkte ummünzt. Natürlich indizieren Fate-Punkte auch die Macht und noch mehr die Bedeutung eines Charakters für die Geschichte: Namenlose, menschliche, machtlose NSC haben weder Funken-Punkte im Originalsystem noch Fate-Punkte in der Konvertierung. Anders als im Originalsystem bedeuten Fate-Punkte aber auch Erzählrechte: Ein Spieler, der häufig die Schwächen seines Charakters anspielt und dessen Aspekte reizt, wird viele Fate-Punkte erhalten. Wird sein Charakter aber auch dadurch göttlicher, dass er von seinen Feinden ausgetrickst, von seinen Freunden hintergangen und von seinen Ängsten beherrscht wird? Ich glaube nicht.
Über dieses konzeptionelle Problem hinaus vermute ich, dass die hohen Fate-Punkte-Kosten vieler göttlicher Extras im Spiel ein Problem sein werden. Wenn ein Charakter nur über zwei Punkte Erholungsrate verfügt und dann noch für das Aktivieren eines Extras ein bis zwei Punkte zahlen muss, bleiben am Ende nicht mehr viele Punkte übrig, um Fakten zu schaffen und Erzählrechte einzuführen. Ich bin zwar auch der Meinung, dass Fate-Punkte nicht im Übermaß vorhanden sein und eine Währung harter Entscheidungen darstellen sollten, aber aus meiner Erfahrung mit dem System befürchte ich, dass entweder die Götter nicht viel von ihrer coolen Göttlichkeit darstellen können, weil sie ihre übermenschlichen Fähigkeiten nur selten nutzen können, oder Fate-Punkte ihren Status als Währung des Erzählrechts verlieren.
Auch die Notwendigkeit, die Stressleisten der menschlichen Beziehungen an die Erholungsrate zu knüpfen (siehe oben), sehe ich nicht. Hier wird meiner Meinung nach ein Element des Ursprungssystems konvertiert, das so aber nicht notwendig oder zuträglich ist. Schließlich kann man sich ohne Fate-Punkte auch nicht gegen bestimmte Formen von Angriffen oder Manipulationen wehren; wie viele Erfolgsstufen ein solcher Angriff hat, wenn ein Charakter keinen Fate-Punkt besitzt, wird jedoch nirgendwo beschrieben.
Preis-/Leistungsverhältnis
Part-Time Gods of Fate kostet 14,99 USD als PDF bzw. 24,95 EUR als Softcover inklusive PDF. Der Preis ist für 187 Seiten Konvertierung auf jeden Fall in Ordnung, allerdings sollte man bedenken, dass man eigentlich wegen der Settingbeschreibung auch noch das d20-System (für den gleichen Preis erhältlich) sowie das Fate Core-Regelwerk benötigt.
Erscheinungsbild
Das Layout orientiert sich am typischen Fate-Layout und ist gut zu lesen. Ein Inhaltsverzeichnis mit Lesezeichen im PDF ist vorhanden, ein Index (zumindest in der von mir gelesenen Beta-Version) jedoch nicht. Das Buch enthält einige Schwarzweiß-Illustrationen, die ich im Vergleich zu anderen Rollenspielen, die ein ähnliches Genre bedienen, als unteren Durchschnitt bezeichnen würde.
Fazit: Konvertiere das Setting, nicht die Regeln!
Das Setting ist spannend und weckt in mir zahlreiche Abenteuerideen. Insbesondere die Betonung des Konflikts zwischen der menschlichen und der göttlichen Seite der Teilzeitgötter ist eine interessante neue Spielart in einem ansonsten schon bekannten Genre. Ich kann mir vorstellen, viele unterhaltsame Spielabende als Teilzeitgott zu erleben. Das hervorragende Spielleiterkapitel sowie die zahlreichen Beispiele für spezifische Götter und göttliche Artefakte sowie Superkräfte sind dafür sehr hilfreich. Sehr elegant finde ich auch die Manifestationen – also die Fertigkeiten, mit denen Götter die Realität nach ihrem Willen verändern. Ihre Ausprägung und die Tatsache, dass sie immer von der Domäne des Gottes abhängig sind, mechanisch also von den Aspekten des Charakters gefärbt werden, passt sehr gut ins Fate-System.
Weniger gut gefällt mir der Detailgrad der Regeln, wenn es um die Spezifikation von Extras geht, aber diese Bewertung ist sicherlich sehr subjektiv. An einigen Stellen merkt man der Konvertierung deutlich an, dass eher das Regelsystem als das Setting konvertiert wurde – so erhalten Charaktere mit einem bestimmten Theologie-Aspekt mechanische Vorteile, die andere nicht erhalten, und werden plötzlich Probenerschwernisse oder -erleichterungen eingeführt, die sich in Fate eleganter als erhöhte Probenschwierigkeiten oder Vorteile abbilden ließen. Schließlich habe ich wie oben erläutert Zweifel am Fluss der Fate-Punkte aufgrund der hohen Anforderungen durch die göttlichen Extras. Persönlich hätte ich mir auch gewünscht, dass der erzählerische Konflikt zwischen der menschlichen und der göttlichen Seite der Charaktere nicht nur durch Beziehungspflege und soziale Verpflichtungen abgebildet wird, sondern auch in Konflikten zwischen widerstrebenden Aspekten der Persönlichkeit oder gegenläufigen Zielen eines Charakters zu verorten wäre.
Alles in allem ein Setting und eine Konvertierung, mit dem sich sicherlich viele unterhaltsame Spielabende verbringen lassen. Einige Probleme der Konvertierung würde ich für meine Spielrunden jedoch anpassen, falls ich das System am Spieltisch ausprobieren würde.
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