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Gods and Monsters ist Teil der A World of Adventure-Reihe von Erweiterungen für das beliebte Erzählrollenspiel Fate, die regelmäßig aus dem Patreon-Projekt von Evil Hat Productions entspringen. Die Reihe brachte bereits einige solide Spielmodule wie Eagle Eyes, Verbrecherjagd Noir im alten Rom, oder Sails full of Stars, eine Steampunk-Weltraumoper, heraus. Doch auch schwache Erweiterungen, wie das platte Gefängnisdrama Behind the Walls, waren dabei. Die Autoren versuchen dabei nicht nur interessante Spielwelten zu produzieren, sondern immer auch neue Regeln einzuführen, die zeigen, was man mit Fate alles machen kann. Gods and Monsters beweist nun, dass selbst Götter spielbar sind.
Inhalt
Gods and Monsters führt auf 62 Seiten in eine vorzeitliche Fantasywelt. Diese wurde von einem „Höheren Bewusstsein“ geschaffen, das danach in tausend Stücke zersprang. Jeder Splitter wurde zu einem Gott, welcher die noch junge Welt und das Schicksal ihrer Bewohner formt. Einige von ihnen schließen sich zu Pantheons zusammen und ringen um Anhänger und Einfluss. Andere verfallen ihrer eigenen Macht und werden zu gefährlichen Monstern. In den Händen der Spieler als Götter liegt dabei nicht weniger als das Schicksal der gesamten Spielwelt. Epische Geschichten sind dabei vorprogrammiert. Die Sonne stehlen und die Welt in ewige Finsternis tauchen? In einem Krieg mit einem anderen Pantheon den ganzen Kontinent auseinanderreißen? Warum nicht!
Das Setting: eine ungeformte Wildnis
Viel verrät Gods and Monsters nicht über die namenlose Spielwelt; muss es aber auch nicht. Die Welt ist noch jung und ungezähmt, die Berge zerklüftet, die Wälder düster und das Meer voller bizarrer Lebensformen. Menschen leben in nomadischen Stämmen oder vereinzelten Städten, bearbeiten Bronze und erfinden gerade das Eisenhandwerk. Nahrung wird erjagt oder auf kleinen Feldern geerntet und Waren werden per Tauschsystem gehandelt. Anders als bei Fate-Modulen wie Romance in the Air erfordert diese Ungeformtheit des Settings keine zusätzliche Recherche und Vorarbeit, sondern ist integraler Bestandteil des Spielerlebnisses. Es geht eben genau darum, die Welt durch göttlichen Einfluss zu formen. Gods and Monsters schlägt explizit vor, Wahrheiten über Teile der Welt erst dann festzulegen, wenn Spieler sie ins Spiel einbauen. So wird das Setting tatsächlich nach und nach durch die Entscheidungen der Spieler geformt, was perfekt zum Hintergrund passt. Diese fortgesetzte Schöpfung verbindet dabei als Thema auch die einzelnen Abenteuer. Die erzählte Geschichte wird in „Tales“ eingeteilt, die Details der Spielwelt erklären, z.B. warum ein Berg die Form eines Schädels hat.
Gods and Monsters geht dabei von sechs Standardregionen aus: Forest Primeval, Rugged Peaks, Ocean, Trackless Desert, Sweeping Plains, First City, die alle einen besonderen Stunt haben. Wer etwas mehr Anhaltspunkte zum Spielen braucht, kann eine vorgefertigte Karte der Spielwelt mit Vorschlägen von bereits existierenden Göttern benutzen und direkt loslegen.
Die Spieler: Götter aus großen Sagen
Spieler verkörpern in Gods and Monsters die namensgebenden Götter. Sie ähneln dabei vor allem unserer Vorstellung von Griechischen Göttern als mythische Figuren mit großen Leidenschaften, Fehlern und Begierden. Ab hier wird es aber ein wenig metaphysisch: Götter haben einen „Mantle“, ein Selbstbild, mit dem sie ihre große Macht kanalisieren und das sie in der Schöpfung darstellt. Dies ist jedoch nicht unumstößlich, sondern kann durch eigene Taten oder den Glauben von Anhängern umgestaltet werden – die Identität eines Gottes befindet sich also im Fluss. Im schlimmsten Fall überwältigt die eigene Macht einen Gott und verwandelt ihn für immer in ein Monster, die natürlichen Widersacher der Götter.
Für die Spieler bedeutet das: Sie können einen Gott nach ihren Wünschen erschaffen und genau so aussehen, wie sie es wollen. Hörner, glühende Augen, drei Köpfe? Kein Problem, wenn es zum Mantle passt. Als weitere Besonderheit sind alle Götter unsterblich und können zwar ausgeschaltet und eingesperrt, aber eben nicht getötet werden. Auch können sie sich schnell in jede Region der Schöpfung bewegen, so lange nicht jemand anderes sie daran hindert. Außerdem hören sie die Gebete und Wünsche ihrer Anhänger auch über enorme Distanz hinweg. Damit ist Gods and Monsters definitiv ungewöhnlich und nicht für Anfänger-Spielrunden gedacht. In die neue, epische Rolle muss man sich erst eingewöhnen.
Doch Gods and Monsters lässt Spieler nicht alleine und präsentiert drei Beispiel-Gottheiten, etwa die zornige Naturgöttin Thorn, Cassia, die noble Göttin der Stärke und Silver, den schlangenzüngigen Manipulator. Auch an Beispiel-Monster wurde gedacht, etwa eine gewaltige Seeschlange oder einen Vampir.
Wichtig: Die Gemeinschaft
Ein wichtiger Bestandteil von Gods and Monsters ist die Beziehung der Götter zu den Menschen, genauer gesagt einer menschlichen Gemeinschaft. Diese wird in den Werten Culture, Integrity, Subtlety, Technology, Warfare und Wealth näher beschrieben und kann besondere Aspekte erhalten. Gemeinschaften sind dabei neben anderen Göttern, Nomadenstämmen und Monstern die wichtigsten Anlaufpunkte für Charakterspiel. Dabei kann ein Gott zwar mit einzelnen Personen sprechen, beeinflusst meist aber die Gemeinschaft als Ganzes. Diese funktioniert zudem als Speicher für Machtpunkte (Power Points), einer Ressource, die die Götter ausgeben können, um über besondere Stunts (Boons) Proben zu verbessern. So müssen Götter ihre Gemeinschaften schützen, neue Gemeinschaften erobern, um ihre Macht auszudehnen und werden im Streit versuchen, die Gemeinschaften feindlicher Götter zu konvertieren.
Die Regeln: Komplex im Detail
Gods and Monsters setzt auf das Fate Accelerated-System (auf Deutsch „Turbo Fate“), das ihr zum Spielen braucht. Dabei werden die umfangreichen Fähigkeiten von Fate durch sechs Herangehensweisen (Approaches) an ein Problem ersetzt. Diese wurden bei Gods and Monsters umbenannt und göttlichen Rolle angepasst: Sie heißen Bold, Wise, Mighty, Swift, Subtle und Clever, funktionieren im Kern aber wie die normalen Turbo Fate-Varianten. Neu ist, dass die einzelnen Herangehensweisen gegeneinandergestellt werden. Das Gegenstück zu Wise ist Swift, Clever steht Mighty gegenüber und Bold schließt Subtle aus – irgendwie logisch. Drei Herangehensweisen sind dabei für jeden Gott als „ascendant“ markiert, das heißt, sie entsprechen seiner gewählten Identität und sind mit jeweils einem Aspekt verbunden.
Wann immer ein Spieler nun eine Herangehensweise verwendet, bewegt er einen Marker auf einer Leiste näher an das jeweilige Wort heran. Die Gruppe löst ein Problem durch pure Gewalt? Ein Schritt näher an Mighty; selbst wenn der Gott eigentlich Clever als ascendant markiert hat. Dies erzeugt Power Points und stärkt über bestimmte Schwellen den Effekt der Boon-Stunts (von +1 bis +3). Doch je weiter sich ein Gott auf der Leiste zu einer Herangehensweise bewegt, desto stärker wird auch sein „Geas“, eine übernatürliche Schwäche, die eine Handlung der gegensätzlichen Herangehensweise erschwert. Erreicht ein Spieler das Ende einer der drei Leisten, wird der Gott von seiner eigenen Macht verschlungen und verwandelt sich unwiderruflich in ein Monster – Game Over! Um das zu verhindern können Götter ihre Macht in Heiligtümer oder Gemeinschaften verschieben oder unkontrolliert in die Umgebung abgehen (Bleed off). Dies erzeugt aber einen negativen Aspekt und verzerrt die Landschaft damit zum Schlechteren. So erschaffen Götter faulige Sümpfe, gefährliche Verliese oder brodelnde Lavaseen ganz nebenbei. Manche davon ergeben sogar eigene Plothooks für neue Abenteuer.
Das System von Gods and Monsters ist ungewöhnlich komplex für ein Fate-Rollenspiel. Mit dem Überfliegen der Regeln ist es nicht getan – hier ist tiefe Lektüre und etwas Übung im Spiel angesagt. Dann geht das Spiel aber schnell von der Hand und unterstützt genau die epischen Geschichten, die diese World of Adventure erzählen möchte. Elemente wie Boon-Stunts, Bleed off oder ascendant-Herangehensweisen sind aber eng mit dem Setting verbunden und lassen sich schwer in andere Settings übertragen. Damit funktioniert Gods and Monsters als Fate-Regelerweiterung nur sehr bedingt.
Die Kampagne
Als besonderen Bonus enthält Gods and Monsters auch eine spannende Beispielkampagne als Einstieg für die Spieler. In dieser ist das Licht der Welt mit dem Sonnengott Zarivya verschwunden, als dieser von einer eifersüchtigen Erdgöttin, Gothad-Ul, in die Unterwelt entführt wurde. Die beständige Dunkelheit hat weitreichende Konsequenzen für die ganze Schöpfung; so schleicht ein Lebender Schatten als Avatar der Verderbnis in den Gemeinschaften umher, während die Ahnengeister der Menschen immer zorniger werden. Die Götter müssen gemeinsam mit den Effekten der Krise klarkommen und am Ende das Licht der Welt wiederherstellen. Sie können sich sogar dazu entscheiden, eine neue Sonne herzustellen, anstatt den alten Sonnengott zu befreien. Episch!
Preis-/Leistungsverhältnis
Gods and Monsters wird wie alle World of Adventure-Produkte mit dem Pay What you Want-Modell vertrieben. Der durchschnittliche Preis von knapp 3 USD geht dabei voll in Ordnung. Für ein Modul dieser Qualität wäre auch ein höherer Preis angemessen.
Erscheinungsbild
Gods and MonstersVon allen World of Adventure-Produkten ist Gods and Monsters wohl das schönste. Das liegt am herausragenden Artwork von Manuel Castañón, das die Atmosphäre der ungeformten Welt gut einfängt. Auch das Layout ist solide und übersichtlich. Kleinere Tippfehler verzeiht man diesem Modul dabei gern. Der Regelteil hätte aber etwas übersichtlicher gestaltet sein können.
Fazit
Götter und Fate, da haben sich zwei gefunden! Eine rohe, formbare Spielwelt und sich verändernde Charaktere mit großer Macht passen perfekt zu den narrativen Mechaniken von Turbo Fate. In keinem anderen Rollenspiel lassen sich mythische Taten mit weitreichenden Konsequenzen so mühelos umsetzen, wie hier. So wirkt Gods and Monsters geradezu wie eine logische Erweiterung von Fate, die die Stärken des Spielsystems ausbaut und auf episches Level hebt. Alle Teile des Moduls und seiner Sonderregeln greifen dabei geschickt ineinander und dienen dem mythischen Spiel, was Gods and Monsters zu einer sehr fokussierten Spielerfahrung macht.
Doch das kommt nicht ohne Preis: Die Mechaniken um Intentions, Powerpoints, Milestones und Monsterwerdung sind ungewöhlich komplex für ein Fate-Produkt, erfordern Einlesezeit und lassen sich nicht einfach auf andere Spielwelten übertragen. Trotzdem gehört Gods and Monsters fraglos zu den besten Fate-Modulen, die die A World of Adventure-Reihe hervorgebracht hat. Wer als Fate-Spieler auch nur das geringste Interesse an epischen Abenteuern oder Göttern hat, kann bedenkenlos zugreifen.
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