http://www.teilzeithelden.de/2014/03/26/rezension-shadowrun-reisefuehrer-in-die-deutschen-schatten/
Ich habe mich sehr darauf gefreut, diese Rezension zu schreiben und den Reiseführer endlich durchackern zu können. Am Ende hat mich die Lektüre jedoch sehr zwiegespalten zurückgelassen. Auf der einen Seite ist das Werk voller guter Ideen und Fortführungen der deutschen Shadowrun–Welt. Auf der anderen Seite präsentiert es sich aber reichlich langweilig und umständlich. Viele Dinge, die ein Quellenbuch in meinen Augen sehr stark machen, waren hier leider nicht zu finden. Vorallem fehlen die sonst üblichen Kurzgeschichten, die dem Leser eine Abwechslung von ewigen Beschreibungen und statischen Erzählungen bieten. Außerdem wird einiges Wissen scheinbar vorausgesetzt und nur spärlich erläutert. Begriffe und Konzernnamen werden in Kurzform genannt und nicht separat erklärt. Zwar gibt es Einschübe mit Zusatzinformationen in Form von „Programmfenstern“, diese sind aber zu selten und erklären nicht immer alle Begriffe.
Da ich „Deutschland in den Schatten“ zuletzt in der zweiten Edition (vor langer Zeit) gelesen hatte , habe ich mir oft Begriffe oder Namen durch Onkel Google (bzw. Shadowhelix) erklären lassen müssen. Es finden sich aber auch einige sehr schöne Arbeiten darin, wie beispielsweise die zahlreichen Karten zu den entsprechend beschriebenen Orten. Inklusive der Aufzeichnung der groben Sicherheit und Angabe von Magschloss Stufen. Auch die vollfarbigen Seiten mit dem Portfolio der Proteus Festung auf Helgoland, der sehr kreative „Styleguide“ und der alternative „Baumarkt Katalog“ sind wunderbar gemacht und haben mich sowohl erstaunt als auch amüsiert. Der Reiseführer in die deutschen Schatten wird als ein Projekt einer Gruppe (Ex-)Runner präsentiert, die sich zum Ziel gemacht haben, aktuelle Informationen des Landes für Zureisende oder Anfänger verfügbar zu machen. Es ist eine sehr gut durchdachte Ansammlung von interessanten Hinweisen, Gesetzen und wichtigen Infos. Leider teilweise schlecht verpackt und deswegen zäh zu lesen.
Inhalt
Deutschland für Runner
Das Kapitel befasst sich mit einer Beschreibung der wichtigsten Dinge, die man als Runner wissen muss, wenn man sich in der Allianz deutscher Länder (ADL) bewegen möchte. Wie die Ein– und Ausreise funktioniert, benötigte Ausweise, Erlaubnisse oder wichtige Gesetze. Es erklärt auch die Strafverfolgung und gibt einen Überblick über die Arbeitsweise der Polizei sowie einen kleinen Einblick in deren Ausrüstung. Deutschland ist auch in den 2070er Jahren weiterhin ein schwer bürokratisches Land. Hinter den Grenzen unterscheiden sich die einzelnen Staaten derart stark, dass hier nur die generellen Punkte wie Flughäfen oder die Einreise aus Nachbarländern behandelt werden Das Buch geht hier und auch in den weiteren Kapiteln ins Detail, aber liefert keinerlei Spielwerte wie beispielsweise Scannerstufen oder Charakterbögen von Polizisten.
Dadurch ist es natürlich sehr gut wiederverwendbar, wenn sich das Regelwerk wandelt und kaum an eine Edition gebunden. Wie bereits erwähnt, werden die Informationen leider recht nüchtern präsentiert und sind dadurch sehr zäh zu lesen. Interessant sind die einzelnen Polzeitruppen des Landes und ihre besondere Bedeutung für die ADL. Es ist immerhin ein Land, in dem so etwas wie eine staatliche Polizei noch existiert. Der Shadowtalk versucht im Reiseführer natürlich entsprechend aufzulockern, kann aber auch nicht mit der Spritzigkeit anderer Quellenbücher mithalten.
Das Leben in der ADL wird dargestellt und anhand von Statistiken wird erläutert, welche Rassenverteilung zu erwarten sein wird. Außerdem wird auf Besonderheiten bei den Einstellungen der Kommlinks hingewiesen und welche Songs man am besten in seinem Musikplayer mit sich herumträgt, falls man gescannt wird. Hier kommt die erste große Überraschung und ein Schmankerl des Reiseführers zum tragen: der Styleguide!
Auf neun vollfarbigen Seiten wird hier eine Kollektion von verbreiteten Outfits präsentiert. Passend dazu wird in der Beschriebung erläutert, in welchem Zusammenhang man damit am wenigsten auffällt und was ein unauffälliges Kommlink in Verbindung damit gespeichert haben sollte. Eine schöne Idee und eine ungeahnte Tiefe für die Tarnung der Spielercharaktere.
Allianzrundfahrt
Die Allianzrundfahrt ist das eigentliche Fleisch des Reiseführers und besteht aus über hundert Seiten, endlos aneinandergereihter Beschreibungen von Gebieten und besonderen Orten in der ADL. Besonderen Wert wurde hierbei auf Pormorya, einen winzigen Elfenstaat und die Trollrepublik im Schwarzwald gelegt. Wie zuvor auch sind in diesen Kapiteln sehr viele interessante Informationen präsentiert und zahllose Hinweise für Kampagnen und Abenteuer werden gegeben. Es gibt auch einige Karten und Beschreibungen besonders gefährlicher Orte. Einer der großen Pluspunkte des Buches besteht in der Tatsache, dass hier Lokalitäten beschrieben werden, an denen man sich teilweise real schon einmal befunden hat. Man muss unwillkürlich lächeln, wenn man liest, dass Goethes Geist auf der Wartburg wandelt und dieselben Zinnen beschreitet, auf denen man selbst bereits gelaufen ist. Dadurch ergibt sich natürlich auch eine tiefere Verbindung zu den Orten und es entstehen eventuell detailreichere Kampagnen.
Sehr hilfreich und schön gestaltet ist das farbige Portfolio über Helgoland. Einige perfekt zusammengefasste Informationen, die man sehr schön als Handout für die Spielergruppe verwenden kann.
Die Allianzrundfahrt zeichnet allerdings ein Bild von Deutschland, das trotz der modernen Probleme durch den zweiten Crash der Matrix und die Goblinisierung sehr eingefahren und rückständig wirkt. Zwischen der Saar und Lothringen befindet sich eine atomar verseuchte Zone, die Nordsee ist tödlich vergiftet, und vom Rhein bis zur Ruhr sind die Städte zu einer gigantischen Metropole verschmolzen, die unter der Kontrolle des größten aller Drachen steht: Lofwyr. Durch die geringe Größe des Landes ergeben sich viele Möglichkeiten, aber auch zahlreiche Hindernisse für einen Schattenläufer. Der Reiseführer erklärt viele dieser Probleme und gibt Hinweise auf mögliche Entwicklungen die sich daraus ergeben können. Ein viel zu oft behandeltes Problem ist jedoch, für meinen Geschmack, dass der rechtsradikalen Gruppierungen. Immer wieder tauchen die ewig gestrigen Gestalten auf, und es wird betont, über wie viel Macht sie in der ADL verfügen. Nicht zuletzt mit Hilfe der Kirche, die in Westphalen alle SURGE-Opfer, Andersgläubige und Metamenschen dämonisiert.
Rechtsradikale Magiergruppen, die versuchen Machtorte an sich zu reißen. Sogar die Elfen in Pomorya sind rechtsradikal, natürlich aber gegen Menschen und gegen Nicht-Elfen. Scheinbar sind die Deutschen auch in weiteren sechzig Jahren nicht in der Lage ihre Vergangenheit zu überwinden und dazu verdammt, die Geschichte zu wiederholen. Natürlich ist mir bewusst, dass Rassenhass, insbesondere im Zusammenhang mit der Goblinisierung, weltweit ein Problem im Shadowrun-Universum ist und auch sein sollte. Allerdings habe ich das Gefühl, dass es in der ADL besonders schlimme Auswüchse angenommen hat und das nervt mich persönlich sehr.
Leute in der ADL
Dieses Kapitel behandelt zunächst einige besondere Gruppierungen von Volksgruppen über Organhändler bis hin zu Umweltorganisationen. Dadurch wirkt es recht chaotisch und unorganisiert, kann aber durch eine Fülle von Abenteueransätzen dennoch überzeugen. Unter persona non grata werden dann einzelne Hehler, Jobvermittler und Infobroker angesprochen. Hinweise, wie man diese Personen kontaktieren kann, finden sich ebenso, wie deren Spezialgebiete und Reichweite. Definitiv interessant für Neuankömmlinge in der ADL und Anfänger im Geschäft. Auch auf Anfängerfehler und taktisch kluge Vorgehensweisen mit den möglichen Auftraggebern wird eingegangen.
Wissenswertes für Profis
Hier findet sich ein großes Sammelsurium von wunderbaren Ideen! Zum Beispiel eine Beschreibung, wie man am besten an Ausrüstung kommt oder welche Ausrüstung man mit einfachen Mitteln ersetzen kann. Schier begeistert hat mich der farbige Baumarkt-Katalog mit den Anmerkungen einer Schieberin namens Daisy Fix. Es finden sich drahtlos zündbare Kohlebriketts, um einen Feueralarm auszulösen und viele weitere, mehr als praktische Ideen für den Runner von Welt. Besonders amüsant ist der Sofortkleber der Marke OHO! – die Handschelle des kleinen Sadisten. Es werden wichtige Punkte angesprochen. Wo man zum Beispiel am besten einen Schwebepanzer stiehlt, und dass man dabei an viele Dinge denken muss: Das beginnt bei Aufspürgeräten und endet beim Daumen des eigentlichen Piloten, um den Panzer später auch wieder starten zu können.
Auch Drogen, Waffen, Medikamente und „Magiekram“ werden behandelt. Es wird erklärt, wie man am besten einen Schlupfwinkel findet, und es gibt sogar konkrete Beschreibungen und Karten von sicheren Orten. Eine mit Fallen und improvisierten Fluchtmöglichkeiten versehene Wohnung bietet sehr schöne Vorschläge für das eigene Hauptquartier. Es werden viele Fragen beantwortet, die sich so mancher Spieler wahrscheinlich vorher noch nie gestellt hat. Wie erschaffe ich mir einen Kontakt zu einer bestimmten Gruppe oder Person? In Form eines gestohlenen Lehrvideos für investigative Journalisten bekommt man eine sehr gute Vorstellung davon, wie so etwas laufen kann. Welche Arten von Jobs kann man in der ADL bekommen und was sind hier die Besonderheiten? Wie steht die Szene zu Wetwork (Mordaufträgen)?
Zu guter Letzt rühren die Shadowtalker nochmal kräftig in der Gerüchteküche und bringen einige Spuren und Hinweise auf haarsträubende Ereignisse vor. Dies sind wieder perfekte Ansätze für eine Kampagne.
Lohnende Ziele
Hier geht es um Vorschläge für eigene Runs: Überfälle auf Züge, Lagerhallen, Banken oder Juweliere. Es wird auch hier wieder Kartenmaterial geliefert, und es gibt schöne Ansätze, um Abenteuer daraus zu stricken. In einem Eventkalender wird auf mögliche Jobs für bestimmte Feierlichkeiten oder Messen hingewiesen, und am Ende gibt es ein schwarzes Brett mit konkreten Anfragen für Spezialisten. Kurz gesagt, es sind fast dreißig Seiten voller Abenteueransätze. Die meisten davon sind kurze Kleinanzeigen für Schattenläufer mit einer rudimentären Beschreibung des Auftrags. Außerdem gibt es Ideen für Luft-, Fluss-, und Landpiraterie aller Arten.
Preis-/Leistungsverhältnis
Da es ein Buch der vierten Edition ist, bekommt man es zur Zeit recht günstig für ungefähr zwanzig USD in der digitalen Variante. Obwohl das Lesen zeitweise eher anstrengend ist, bekommt man gute Informationen über die ADL geliefert. Dies, die Karten und die farbigen Seiten sind den Preis durchaus Wert.
Erscheinungsbild
Reiseführer deutsche Schatten Shadowrun CoverDas Shadowrun–Layout für Quellenbücher findet sich auch in diesem Buch ohne große Änderungen wieder. Der Text ist übersichtlich in Spalten angeordnet und die Auflösung ist hoch. Auch bei geringen Bildschirmmaßen wie einem Sieben-Zoll-Tablet ist alles angenehm lesbar. Es gibt zahlreiche Illustrationen und die typischen „Programmfenster“, welche dem Buch einen Hauch von Matrix verleihen.
Die vollfarbigen Seiten sowie die Illustrationen sind besonders liebevoll gestaltet und ein echter Mehrwert für das Quellenbuch.
Bonus/Downloadcontent
Uns ist kein zusätzlicher Inhalt bekannt.
Fazit
Der Reiseführer in die deutschen Schatten ist ein gutes Werk, voller schöner Ideen und gut verwendbarem Karten-/Handoutmaterial. Seine Informationsfülle wird nur von der Art der Präsentation getrübt, die zwar einem echten Reiseführer in nichts nachsteht, sich aber bei über zweihundert Seiten in die Länge zieht.
Man bekommt eine umfangreiche Auflistung von sehenswerten Orten und wertvollen Hinweisen für das ein oder andere Verbrechen. Leider ist dies dem Lesefluss nicht sehr zuträglich und es ist definitiv kein Buch, das man „in einem Rutsch“ sehr angenehm lesen kann. Die typischen Kurzgeschichten aus den Quellenbüchern sind hier leider nicht zu finden und hätten durchaus für eine Auflockerung sorgen können.
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