https://www.teilzeithelden.de/2018/05/23/ersteindruck-ice-a-mythic-post-historic-rpg-stueckwerk-im-ewigen-eis/
Die Welt ist untergegangen. Der Klimawandel hat sich in einer Art und Weise verschlimmert, dass die menschliche Zivilisation untergegangen und die Welt in eine neue Eiszeit gefallen ist, in der sich nur kleine Reste einstiger Größe behaupten. Dafür ist aber zumindest Magie zurück in die Welt gekommen.
Mit Ice liegt ein Produkt vor, dessen Titel bereits verdeutlicht, in welcher kleinen Nische es sich zu Hause fühlt. Postapokalypse mit prähistorischem Anstrich in einer Eiszeit. Man muss dem Spiel zugutehalten, dass es sich damit einen ziemlich unverbrauchten Dreh ausgesucht hat, um sich von anderen Vertretern der Postapokalypse abzugrenzen. Aber lohnt es sich, einen Ausflug in diese Welt zu machen?
Die Spielwelt
Die Welt von Ice ist relativ schnell erklärt. Vor einigen Jahrhunderten begann eine neue Eiszeit, die die moderne Zivilisation ausgelöscht hat. Eis umschließt den gesamten Globus wie ein Panzer und hat den Planeten zu einer gefrorenen Einöde werden lassen. Von einigen wenigen Stellen rund um den Äquator abgesehen, ist die Welt unbewohnbar geworden. Lediglich zwei unterirdische Städte haben die Katastrophe überlebt und sind die Leuchtfeuer der Zivilisation in einer Welt, die ansonsten auf den Entwicklungsstand der Steinzeit zurückgefallen ist.
Die meisten Menschen sind in Clans organisiert und führen ein Leben als Jäger und Sammler. Unterstützt werden die Clans dabei von Menschen, die ein besonderes Talent, den Funken, haben. Bei diesen Menschen handelt es sich um Personen, die in der Lage sind, auf magische Art und Weise Verbindung zu den Eigenschaften von Totemtieren herzustellen. Sie können stark wie ein Bär, flink wie Vogel oder wild wie ein Säbelzahntiger sein. Sie sind die größte Waffe, die ein Clan gegen die unbarmherzige Umwelt hat, in der, neben der Kälte, vor allem prähistorische Ungeheuer ihr Unwesen treiben und eine große Gefahr für das Überleben der Menschheit darstellen.
Mit dieser Zusammenfassung ist die Spielwelt gut umrissen, da das Spiel selbst sich wenig Mühe macht, dem potenziellen Spielleiter viel Material an die Hand zu geben. New China und The City, die beiden überlebenden Städte der Vor-Katastrophenzeit, werden nur mit wenigen Worten ausgebaut. Der Rest obliegt der Fantasie und der Assoziationskraft des Spielleiters. Gleiches gilt für die großen Clans des Settings. Wolf, Bär, Falken und Mammut werden mit je drei Absätzen kurz vorgestellt und entsprechen klassischen Charakterarchetypen wie Priester, Krieger, Ausgestoßene und Erben der alten Welt. Zusammen machen diese Clans allerdings auch nur gut 10 % der Weltbevölkerung aus. Der Rest lebt entweder in den unterirdischen Städten oder wird unter dem Stichwort „minor clans“ subsumiert.
Man ist es ja inzwischen gewohnt, dass ein Settingband für Fate mit sehr groben Pinselstrichen gezeichnet wird, aber Ice geht hier ins Extrem und hinterlässt dabei einen schalen Nachgeschmack. Es wird vom Leser erwartet, dass er viel ohne Erklärung hinnimmt oder sich seine eigenen Erklärungen zurechtmacht. Woher kommt der Funken? Wieso existieren ausgestorbene Tiere wie Mammuts oder Säbelzahntiger wieder? Was hat zur Gründung des Bärclans geführt? Diese Beispiele stehen nur exemplarisch für die vielen Fragezeichen, die der Band beim Lesen hinterlassen hat. Auch wenn man bedenkt, dass der Band eventuell nur die Phantasie des Lesers anregen soll, ist die Basis leider sehr dünn. Da haben andere Bände wie Nest oder Venture City aus den vorhandenen Seiten weitaus mehr rausgeholt. In seiner aktuellen Form ist Ice eine Settingskizze. Mehr leider nicht.
Die Regeln
Ice nutzt für den Spielablauf und die Charaktererstellung das Fate Core Regelsystem, an dem, neben der obligatorischen Fertigkeitsliste, lediglich eine große Anpassung vorgenommen wurde. Das Totemsystem ist das Alleinstellungsmerkmal von Ice und gibt ihm tatsächlich einen eigenen Touch. Im Prinzip ist es Menschen mit dem Funken, also in der Regel allen Spielercharakteren, möglich, die Eigenschaften von Tieren anzunehmen. Mit Hilfe eines Fisch-Totems könnte man zum Beispiel unter Wasser atmen, ein Mammut-Totem würde die eigene Haut ledrig und undurchdringbar machen etc. Totems werden nach „instant“ und „equipment“ unterschieden. Erstere sind kurzfristige Erscheinungen, die lediglich eine Szene lang einen Effekt haben und dem Charakter regelseitig Stresspunkte verursachen. Zweitere sind dauerhafte Charakteristika des Charakters und spiegeln seine magische Macht wider. Equipment-Totems können im Laufe des Spiels als Aspekte hinzugewonnen werden, müssen dann aber natürlich aus dem „Refresh“ Vorrat bezahlt werden.
Ice listet eine ganze Reihe von möglichen Totems und ihren Besonderheiten auf, sodass Spielleiter und Spieler einen guten Startpunkt haben, wenn es um die Individualisierung der Charaktere geht. Auch eine kurze Erklärung, wie neue Totems erstellt werden können, findet sich in dem Band.
Daneben gibt das Spiel noch einige kurze Anleitungen, wie Gruppen ihren eigenen Clan erstellen und die Spielwelt für sich selbst ausgestalten können. Dieser Zusatz bewegt sich bei der Kürze des Bandes natürlich nicht in Dresden Files-Kategorien, ist aber eine nette, wenn auch sehr oberflächliche Ergänzung.
Erscheinungsbild
Für diesen Ersteindruck lag nur die PDF vor, sodass zu Papier- und Druckqualität keine Aussagen gemacht werden können. Das Schriftbild ist in der digitalen Form klar und deutlich zu lesen und frei von optischen Störungen. Allerdings muss man sagen, dass die Illustrationen und der Stil des Bandes eine echte Katastrophe sind. Die Bilder wirken, als habe man lieblos Stock Art zusammengeklebt und einen Filter über das Ergebnis geschickt. Da hilft es dem Gesamteindruck auch nicht, dass nahezu jede Seite illustriert ist und man so nie vergessen kann, wie niedrig die Qualität der Artworks ist. Sicherlich kann man bei einem Indie-RPG nicht erwarten, dass eine Legion professioneller Künstler an dem Design arbeiten, aber Ice ist schon ein Fall besonderer Lieblosigkeit.
Der Preis ist mit 9,99 USD für eine 32-Seiten-PDF auch eher hoch angesetzt.
Bonus/Downloadcontent
Zum Zeitpunkt der Besprechung ist noch kein Bonusmaterial für Ice erschienen.
Fazit
Ice hat eine interessante Grundidee, die ein unverbrauchtes Setting aufgreift. Leider ist es nicht viel mehr als eine Skizze. Das Setting selbst wird bestenfalls angerissen und hinterlässt den Leser mit vielen Fragen. Selbst für einen Fate-Settingband hält Ice sich mit konkreten Informationen enorm zurück. Am Ende werden zwei mögliche Abenteueraufhänger kurz angedacht, und dann ist man mit dem kurzen Band auch schon durch. Die Idee, Tiertotems zur Erlangung übernatürlicher Kräfte zu gewinnen, ist ein tatsächliches Alleinstellungsmerkmal, hilft aber leider nicht dabei, den eklatanten Mangel an Informationen oder die enorm lieblose Gestaltung wettzumachen. Insgesamt ist Ice leider eine Enttäuschung.
Der Ersteindruck basiert auf der Lektüre des Bandes.
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